Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
vielleicht fünfzigtausend. Es wird eine Luxusreise sein. Das ist immer so, wenn eine Saatkolonie erstmals für das Netz geöffnet wird.«
»Und später?«
»Nach der fünfjährigen Schonzeit? Dann wird es selbstverständlich Tausende von Toren geben. Ich könnte mir denken, daß im ersten Jahr der Vollmitgliedschaft zwanzig bis dreißig Millionen neue Einwohner durchkommen werden.«
»Zwanzig bis dreißig Millionen!« sagte Siri. Das Licht des Kompaßkastens erhellte ihr Gesicht von unten. Ich konnte immer noch Schönheit sehen. Aber keine Wut oder Betroffenheit. Ich hatte beides erwartet.
»Aber dann werdet ihr selbst Mitbürger sein«, sagte ich. »Und überall im Weltennetz hingehen können. Ihr werdet zwischen sechzehn neuen Welten wählen können. Bis dahin wahrscheinlich noch mehr.«
»Ja«, sagte Siri und stellte die leere Tasse weg. Nieselregen schlug sich auf dem Glas um uns herum nieder. Der primitive Radarschirm, der in einen handgeschnitzten Rahmen eingelassen war, zeigte uns, daß das Meer verlassen und der Sturm weitergezogen war. »Stimmt es, Merin, daß Bewohner der Hegemonie Häuser auf einem Dutzend Welten haben? Ich meine ein Haus mit Fenstern zu einem Dutzend Welten.«
»Klar«, sagte ich. »Aber nicht viele Menschen. Nur die sehr Reichen können sich solche Multiweltresidenzen leisten.«
Siri lächelte und legte mir eine Hand aufs Knie. Ihr Handrücken war fleckig und von blauen Adern durchzogen. »Aber du bist sehr reich, Schiffsmann, oder nicht?«
Ich wandte mich ab. »Noch bin ich es nicht.«
»Ah, aber bald, Merin, bald. Wie lange für dich, Geliebter? Nicht einmal mehr zwei Wochen hier, und dann die Rückreise zur Hegemonie. Fünf weitere Monate deiner Zeit, um die letzten Teile herzubringen, ein paar Wochen, um den Aufbau zu beenden, und dann gehst du als reicher Mann heim. Gehst zweihundert leere Lichtjahre heim. Was für ein seltsamer Gedanke ... aber wo war ich stehengeblieben? Wie lange ist das? Nicht einmal ein Standardjahr.«
»Zehn Monate«, sagte ich. »Dreihundertundsechs Standardtage. Dreihundertundvierzehn von deinen. Neunhundertachtzehn Schichten.«
»Und dann ist dein Exil zu Ende?«
»Ja.«
»Und du bist vierundzwanzig Jahre alt und sehr reich.«
»Ja.«
»Ich bin müde, Merin. Ich will jetzt schlafen.«
Wir programmierten die Ruderpinne, stellten den Kollisionsalarm ein und gingen nach unten. Der Wind hatte wieder etwas zugenommen, das alte Schiff schwankte von Wellenbergen in Wellentäler. Wir zogen uns im Licht der schwingenden Lampe aus. Ich war als erster in der Koje unter der Decke. Siri und ich hatten zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder eine gemeinsame Schlafperiode. Als ich an unser letztes Wiedersehen und ihre Schüchternheit in der Villa dachte, ging ich davon aus, daß sie das Licht löschen würde. Statt dessen stand sie eine Minute lang nackt in der Kälte und ließ die dünnen Arme an den Seiten herabhängen.
Die Zeit hatte vor Siri nicht Halt gemacht, sie aber nicht verwüstet. Die Schwerkraft hatte ihr unentrinnbares Werk an Brüsten und Pobacken getan, und sie war viel dünner geworden. Ich betrachtete die hageren Umrisse von Rippen und Brustbein und dachte an das sechzehnjährige Mädchen mit dem Babyspeck und einer Haut wie warmer Samt. Im kalten Licht der schwingenden Lampe musterte ich Siris schlaffes Fleisch und erinnerte mich an Mondlicht auf knospenden Brüsten. Und doch war es auf eine seltsame, unerklärliche Weise dieselbe Siri, die jetzt vor mir stand.
»Mach Platz, Merin.« Sie schlüpfte neben mir in die Koje. Die Laken waren kalt an unserer Haut, die rauhe Decke angenehm. Ich machte das Licht aus. Das kleine Schiff schwankte im gleichmäßigen Rhythmus des Meeresatems. Ich hörte das mitleidige Ächzen von Mast und Takelage. Morgen würden wir wieder auswerfen und einholen und flicken, aber jetzt war Schlafenszeit. Ich döste beim Plätschern der Wellen auf Holz ein.
»Merin?«
»Ja.«
»Was würde passieren, wenn die Separatisten Touristen oder neue Bewohner der Hegemonie angreifen würden?«
»Ich dachte, die Separatisten wären ausnahmslos zu den Inseln verfrachtet worden?«
»Das wurden sie auch. Aber wenn sie Widerstand leisten würden?«
»Dann dürfte die Hegemonie FORCE-Truppen schicken, die den Separatisten kräftig in den Arsch treten würden.«
»Und wenn der Farcaster selbst angegriffen und vernichtet werden würde, ehe er in Betrieb genommen werden kann?«
»Unmöglich.«
»Ja, ich weiß, aber
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