Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Alter kommt, wo bald frisches Blut erforderlich ist. Eine Zeit der Massengeburt könnte das scheinbar gleiche Alter der Stammesmitglieder erklären.
Aber wer unterrichtet die Jungen? Was passiert mit den Eltern und den alten Menschen? Geben die Bikura die kümmerlichen Ansätze ihres primitiven Abklatsches einer Kultur weiter und lassen dann zu, daß sie selbst sterben? Wäre das dann ein ›wahrer Tod‹ – die Auslöschung einer ganzen Generation? Ermorden die Fünf Dutzend und Zehn Individuen an beiden Enden der glockenförmigen Alterskurve?
Diese Art der Spekulation ist nutzlos. Ich werde allmählich wütend über meine mangelnde Fähigkeit, Probleme zu lösen. Entwickle eine Strategie und handle danach, Paul! Setz deinen trägen Jesuitenarsch endlich in Bewegung!
PROBLEM: Wie kann man die Geschlechter unterscheiden?
LÖSUNG: Locke oder zwinge ein paar dieser armen Teufel zu einer medizinischen Untersuchung! Finde heraus, was es mit diesem Geschlechterrollen-Geheimnis und dem Nacktheitstabu auf sich hat! Eine Gesellschaft, die auf jahrelange strikte sexuelle Enthaltsamkeit angewiesen ist, paßt zu meiner neuen Theorie.
PROBLEM: Warum sind sie so fanatisch darauf bedacht, die Bevölkerungszahl von Fünf Dutzend und Zehn aufrechtzuerhalten, mit der die Kolonie des verlorenen Landungsbootes angefangen hat?
LÖSUNG: Setz ihnen zu, bis du es herausgefunden hast!
PROBLEM: Wo sind die Kinder?
LÖSUNG: Übe Druck aus und sei hartnäckig, bis du es erfahren hast! Vielleicht hat der abendliche Ausflug die Klippe hinunter etwas damit zu tun. Da unten könnte ein Hort sein. Oder ein Haufen kleiner Skelette.
PROBLEM: Was soll dieses ›zur Kruziform gehören‹ und ›der Weg des Kreuzes‹ anderes sein als eine verzerrte Form des ursprünglichen religiösen Glaubens der ersten Kolonisten?
LÖSUNG: Finde es heraus, indem du zum Ursprung gehst! Könnte ihr täglicher Ausflug die Klippe hinab religiöser Natur sein?
PROBLEM: Was befindet sich unterhalb der Klippe?
LOSUNG: Steig hinunter und sieh nach!
Wenn ihre Verhaltensnormen stimmen, werden morgen sämtliche Fünf Dutzend und Zehn mehrere Stunden lang in den Wald gehen, um Vorräte zu suchen. Diesmal werde ich nicht mit ihnen gehen.
Dieses Mal klettere ich über den Rand und die Klippe hinunter.
Tag 105:
09.30 Uhr – Danke, o Herr, daß Du mir erlaubt hast zu sehen, was ich heute gesehen habe.
Danke, o Herr, daß Du mich zu dieser Zeit an diesen Ort gebracht hast, um mir den Beweis Deiner Existenz zu zeigen.
11.25 Uhr – Edouard ... Edouard!
Ich muß zurückkehren. Um Dir alles zu zeigen! Um es allen zu zeigen.
Ich habe alles eingepackt, was ich brauche, und Bilddiscs und Filme in einen Beutel getan, den ich aus Asbestblättern geflochten habe. Ich habe Nahrung, Wasser und den Strahler mit seiner zunehmend schwächeren Ladung. Zelt. Schlafsack.
Wenn nur die Ableiterpflöcke nicht gestohlen worden wären.
Die Bikura haben sie vielleicht aufgehoben. Nein, ich habe die Hütten und den umliegenden Wald durchsucht. Sie hätten keine Verwendung dafür.
Einerlei!
Ich breche heute auf, wenn ich kann. Wenn nicht, dann eben so schnell ich kann.
Edouard! Ich habe alles hier auf Filmen und Discs.
14.00 Uhr -
Heute gibt es keinen Weg durch die Flammenwälder. Der Rauch hat mich zum Rückzug gezwungen, noch bevor ich auch nur in die Randgebiete der aktiven Zone eindringen konnte.
Ich kehrte ins Dorf zurück und habe die Holos noch einmal angesehen. Es war kein Irrtum. Das Wunder ist echt.
15.30 Uhr -
Die Fünf Dutzend und Zehn werden jeden Augenblick zurückkehren. Wenn sie wissen ... wenn sie mir ansehen, daß ich dort gewesen bin? Ich könnte mich verstecken.
Nein, es besteht keine Veranlassung, mich zu verstecken. Gott hat mich nicht hierher geführt und mir gezeigt, was ich gesehen habe, um mich anschließend durch die Hände dieser armen Kinder sterben zu lassen.
16.15 Uhr -
Die Fünf Dutzend und Zehn sind zurückgekommen und in ihre Hütten gegangen, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Ich sitze unter der Tür meiner eigenen Hütte und kann nicht anders, ich muß lächeln, lachen und beten. Vorhin war ich am Rand der Kluft, habe eine Messe gelesen und das Abendmahl eingenommen. Die Dorfbewohner haben sich nicht die Mühe gemacht und zugesehen.
Wie schnell kann ich aufbrechen? Aufseher Orlandi und Tuk haben gesagt, daß der Flammenwald drei hiesige Monate voll aktiv ist – hundertachtundzwanzig Tage –, dann zwei Monate ruhiger. Tuk und
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