Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
eine Gefahr oder Störung auf dem Hauptschiffahrtsweg zum Grasmeer sie gezwungen hatte, auf Nebenarme des Hoolie auszuweichen. Er schätzte, daß sie etwa hundertfünfzig Kilometer nordwestlich von Keats waren.
»Bei Tageslicht sieht alles anders aus, nicht?« sagte Pater Hoyt.
Der Konsul sah wieder zum Ufer und war nicht sicher, wovon Hoyt sprach; dann ging ihm auf, daß der Priester die Barke meinte.
Es war seltsam gewesen – sie waren dem Androiden durch den Regen gefolgt, hatten sich an Bord der alten Barke begeben, sich einen Weg durch deren Irrgarten mosaikförmiger Räumlichkeiten und Passagen gesucht, Het Masteen bei den Ruinen des Tempels abgeholt und schließlich gesehen, wie die Lichter von Keats achtern zurückgeblieben waren.
Der Konsul erinnerte sich an diese Stunden vor und nach Mitternacht wie an einen von Müdigkeit getrübten Traum, und er stellte sich vor, daß die anderen ebenso erschöpft und desorientiert gewesen sein mußten. Er erinnerte sich vage an seine Überraschung, daß die Mannschaft der Barke ausschließlich aus Androiden bestand, aber am deutlichsten war ihm die Erleichterung im Gedächtnis geblieben, als er endlich die Tür seiner Kabine hinter sich zumachen und ins Bett fallen konnte.
»Ich habe heute morgen mit A. Bettik gesprochen«, sagte Weintraub und meinte damit den Androiden, der sie geführt hatten. »Die alte Schaluppe hat einiges mitgemacht.«
Martin Silenus ging zum Sideboard, um sich noch Tomatensaft einzuschenken, fügte einen Schuß aus dem Flakon zu, den er bei sich hatte, und sagte: »Sie ist eindeutig herumgekommen. Die verdammte Reling ist ölig von Händen, die Treppe von Füßen ausgetreten, die Decken vom Ruß der Lampen geschwärzt und die Betten von Generationen von Rücken durchgelegen. Ich würde sagen, sie ist ein paar Jahrhunderte alt. Die Schnitzereien und Rokokoschnörkel sind prachtvoll. Ist jemand aufgefallen, daß die Einlegearbeit hier über allen anderen Gerüchen immer noch nach Sandelholz riecht? Würde mich nicht überraschen, wenn dieses Ding noch von der Alten Erde stammen würde.«
»So ist es«, sagte Sol Weintraub. Rachel, das Baby, schlief auf seinem Arm und blies beim Atmen leise Spuckeblasen im Schlaf. »Wir sind auf dem stolzen Schiff Benares, in der gleichnamigen Stadt der Alten Erde erbaut, nach der es auch getauft wurde.«
»Ich kann mich nicht erinnern, daß ich schon einmal von einer Stadt der Alten Erde dieses Namens gehört habe«, sagte der Konsul.
Brawne Lamia sah vom Rest ihres Frühstücks auf. »Benares, auch als Varanasi oder Gandhipur bekannt. Hindu-Freistaat. Teil des Zweiten Asiatischen Wirtschaftspakts nach dem Dritten Chinesisch-Japanischen Krieg.
Beim begrenztem Schlagabtausch der Indosowjetischen Moslemrepubliken zerstört.«
»Ja«, sagte Weintraub, »die Benares wurde einige Zeit vor dem Großen Fehler erbaut. Mitte zweiundzwanzigstes Jahrhundert, würde ich schätzen. A. Bettik hat mir gesagt, daß es ursprünglich eine Levitationsbarke gewesen ist ...«
»Sind die EM-Generatoren noch da unten?« unterbrach ihn Oberst Kassad.
»Ich glaube ja«, sagte Weintraub. »Neben dem Hauptsalon auf dem untersten Deck. Der Boden des Salons besteht aus durchsichtigem lunarem Kristall. Sehr hübsch, wenn wir in zweitausend Metern Höhe kreuzen würden ... aber so recht nutzlos.«
»Benares«, überlegte Martin Silenus. Er strich mit einer Hand zärtlich über die von der Zeit gedunkelte Reling. »Dort wurde ich einmal ausgeraubt.«
Brawne Lamia stellte die Kaffeetasse weg. »Alter Mann, wollen Sie uns weismachen, Sie wären so alt, daß Sie sich noch an die Alte Erde erinnern können? Hören Sie, wir sind keine Narren.«
»Mein liebes Kind«, strahlte Martin Silenus, »ich versuche gar nicht, Ihnen etwas weiszumachen. Ich dachte mir nur, es könnte unterhaltsam – und nützlich und erleuchtend – sein, wenn wir irgendwann einmal Listen mit allen Orten austauschen, an denen wir entweder geraubt haben oder beraubt worden sind. Da Sie den unfairen Vorteil haben, als Tochter eines Senators geboren zu sein, gehe ich davon aus, daß Ihre Liste viel distinguierter sein wird ... und viel länger.«
Lamia machte den Mund zu einer Antwort auf, runzelte die Stirn und sagte nichts.
»Ich frage mich, wie dieses Schiff nach Hyperion gelangt ist«, murmelte Pater Hoyt. »Warum sollte jemand eine Levitationsbarke auf eine Welt bringen, wo die EM-Ausrüstung nicht funktioniert?«
»Sie würde funktionieren«, sagte Oberst
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