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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und hätte er zwei oder drei Stunden zum Nachdenken und für gründliche Inspektionen gehabt, hätte er sich vielleicht Sinn und Zweck verschiedener anderer Kontrollen zusammenreimen können. Aber er hatte keine Zeit. Der Bugbildschirm zeigte drei Gestalten in Raumanzügen, die schießend auf den Tintenfisch zueilten. Der blasse, seltsam fremdartige Kopf eines Ousterkommandanten erschien plötzlich in der Holokonsole. Kassad hörte Rufe aus den Ohrhörern.
    Schweißperlen hingen ihm vor den Augen und rannen in Streifen an der Helminnenseite hinab. Er schüttelte sie, so gut es ging, ab, betrachtete die Kontrollkonsole blinzelnd und drückte auf mehrere Tastenfelder, die wie Bedienungselemente aussahen. Wenn es Stimmeingabekontrollen waren, es Prioritätssperren gab oder der Schiffscomputer argwöhnisch war, dann saß Kassad in der Falle, das wußte er. An das alles hatte er in den ein oder zwei Sekunden gedacht, bevor er den Piloten erschossen hatte, aber ihm war keine Möglichkeit eingefallen, wie er den Mann zur Zusammenarbeit hätte zwingen können. Nein, es mußte so gehen, überlegte Kassad und drückte dabei noch mehr Kontrollen.
    Eine Schubdüse erwachte zum Leben. Der Tintenfisch zerrte an seiner Vertäuung. Kassad wurde in seinem Gurt hin und her geschüttelt. »Scheiße«, flüsterte er, seine erste gesprochene Bemerkung seit er die Schiffsärztin gefragt hatte, wohin das Schiff unterwegs war. Er streckte sich so weit, daß er die Finger samt Handschuhen in die Griffschlitze bekam. Vier der sechs Greifarme ließen los. Einer brach ab. Der letzte riß ein Stück der Hülle der HS Merrick ab.
    Der Tintenfisch taumelte davon. Videokameras zeigten, wie zwei der Gestalten in den Raumanzügen ihr Ziel verfehlten und die dritte sich an derselben Antenne festklammerte, die Kassad gerettet hatte. Kassad wußte jetzt ungefähr, wo die Kontrollen der Schubdüsen waren, und tippte wie von Sinnen. Ein Deckenlicht ging an. Sämtliche Holoprojektoren gingen aus. Der Tintenfisch führte ein Manöver aus, welches die brutalsten Elemente von Sturzflug, Kreisen und Gieren in sich vereinte. Kassad sah die Gestalt im Raumanzug über der Kuppel dahinfliegen, kurz auf dem Bugmonitor auftauchen und dann zu einem Pünktchen auf dem Bildschirm werden. Der Ouster feuerte noch Energiestrahlen, als er – oder sie – winzig und dann gar nicht mehr zu sehen war.
    Kassad bemühte sich, bei Bewußtsein zu bleiben, während das unkontrollierte Schlingern andauerte. Mehrere Audio- und visuelle Alarmanzeigen buhlten um seine Aufmerksamkeit. Kassad schlug auf die Schubkontrollen ein, wertete es als Erfolg und hörte auf, als er den Eindruck hatte, als würde er nur noch in zwei statt bisher fünf Richtungen gleichzeitig gerissen werden.
    Ein zufälliger Kameraschnappschuß zeigte ihm, daß das Schlachtschiff zurückblieb. Gut. Kassad zweifelte nicht daran, daß das Schlachtschiff der Ousters ihn jeden Augenblick vernichten konnte und auch würde, sollte er sich ihm nähern oder es in irgendeiner Form bedrohen. Er wußte nicht, ob der Tintenfisch bewaffnet war, bezweifelte aber, daß mehr als Nahkampfwaffen an Bord sein würden; doch er wußte eines mit absoluter Sicherheit: Kein Schlachtschiffkommandant würde zulassen, daß ein außer Kontrolle geratenes Beiboot auch nur in die Nähe seines Schiffs kam. Kassad ging davon aus, daß inzwischen sämtliche Ousters wußten, daß das Beiboot vom Feind entführt worden war. Es hätte ihn nicht überrascht – enttäuscht, aber nicht überrascht –, wenn ihn das Schlachtschiff jeden Moment verdampft hätte, aber vorerst zählte er noch auf zwei Empfindungen, die allzu menschlich, aber nicht notwendigerweise auch oustermenschlich waren: Neugier und Rachegelüste.
    Neugier, das wußte er, konnte in Augenblicken großer Belastung mühelos überwunden werden, aber er verließ sich darauf, daß eine paramilitärische, halbfeudale Kultur wie die der Ousters stark von Ehre- und Rachedenken geprägt sein würde. Da alles andere einerlei war und er keine Möglichkeit hatte, ihnen weiteren Schaden zuzufügen, und so gut wie keine Chance hatte, zu entkommen, ging Oberst Fedmahn Kassad davon aus, daß er zum begehrtesten Kandidaten für ihre Vivisektionstische geworden war. Er hoffte es.
    Kassad blickte auf den Bugmonitor, runzelte die Stirn und löste den Gurt gerade so lange, daß er durch die Kuppel hinaussehen konnte. Das Schiff schlingerte, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Der Planet schien näher zu

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