Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Standardstunden und einundvierzig Minuten«, verkündete ein Techniker beim Display.
Senator Kolchew stand auf.
»Stimmen wir über die Demonstration bei Hyperion ab«, sagte er vorgeblich zu Gladstone, in Wahrheit aber an die Versammlung gerichtet.
Meina Gladstone klopfte sich auf die Unterlippe. »Nein«, sagte sie schließlich, »keine Abstimmung. Wir werden die Waffe einsetzen. Admiral, bereiten Sie vor, daß die mit der Waffe ausgerüsteten Schlachtschiffe ins Hyperion-System übersetzen und senden Sie danach Warnungen an den Planeten und die Ousters gleichermaßen. Geben Sie ihnen drei Stunden Zeit. Minister Imoto, senden Sie codierte Fatlinebotschaften nach Hyperion und teilen Sie ihnen mit, sie müssen – wiederhole: müssen – unverzüglich Schutz im Labyrinth suchen. Sagen Sie ihnen, daß eine neue Waffe erprobt wird.«
Morpurgo wischte sich Schweiß vom Gesicht. »Präsidentin, wir dürfen das Risiko nicht eingehen, daß diese Waffe dem Gegner in die Hände fällt.«
Gladstone sah Ratgeber Nansen an und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was sie tatsächlich empfand. »Ratgeber, kann diese Waffe so eingestellt werden, daß sie automatisch detoniert, falls unser Schiff zerstört oder aufgebracht wird?«
»Ja, Präsidentin.«
»Dann tun Sie das. Erklären Sie sämtliche notwendigen Sicherheitsmaßnahmen den zuständigen Experten von FORCE.« Sie drehte sich zu Sedeptra um. »Bereiten Sie eine netzweite Übertragung vor, Zeitpunkt zehn Minuten, bevor die Waffe ausgelöst werden soll. Ich muß unsere Bürger darüber informieren.«
»Ist das klug ...?« begann Senatorin Feldstein.
»Es ist erforderlich«, sagte Gladstone. Sie stand auf, und die achtunddreißig Menschen im Saal erhoben sich einen Augenblick später. »Ich werde mir ein paar Minuten Schlaf gönnen, während Sie sich an die Arbeit machen. Ich möchte, daß die Waffe unverzüglich bereitgemacht und ins System gebracht und Hyperion gewarnt wird. Ich möchte Eventualitätenpläne und Prioritäten für Verhandlungen vorliegen haben, wenn ich in dreißig Minuten wieder erwache.«
Gladstone betrachtete die Gruppe und wußte, die meisten der hier Versammelten würden so oder so innerhalb der nächsten zwanzig Stunden ihrer Ämter enthoben sein. So oder so, es war ihr letzter Tag als Präsidentin.
Meina Gladstone lächelte. »Versammlung aufgelöst«, sagte sie und farcastete in ihre Privatgemächer, um ein Nickerchen zu machen.
43
Leigh Hunt hatte noch nie jemand sterben sehen. Der letzte Tag und die Nacht, die er mit Keats verbrachte – Hunt betrachtete ihn immer noch als Joseph Severn, war aber überzeugt, daß sich der sterbende Mann jetzt selbst für John Keats hielt –, waren die schwersten in Hunts Leben. Die Blutstürze kamen häufig am letzten Tag von Keats' Leben, und zwischen den Hustenanfällen konnte Hunt Schleim in Hals und Brust des kleinen Mannes brodeln hören, der um sein Leben kämpfte.
Hunt saß neben dem Bett in dem kleinen Zimmer an der Piazza di Spagna und hörte sich Keats Murmeln an, während der Sonnenaufgang zum frühen Vormittag und der frühe Vormittag zum Mittag und frühen Nachmittag wurde. Keats war fiebrig und nur sporadisch bei Bewußtsein, aber er bestand darauf, daß Hunt zuhörte und alles aufschrieb – sie hatten Tinte, Federhalter und Schreibpapier im Nebenzimmer gefunden –, und Hunt gehorchte und kritzelte emsig, während der sterbende Cybrid von Metasphären und todgeweihten Göttern, der Verantwortung des Dichters und dem Dahinscheiden von Gottheiten faselte, und von einem Miltonschen Bürgerkrieg im Core.
Da hatte Hunt aufgesehen und Keats' fiebrige Hand gedrückt. »Wo ist der Core, Sev ... Keats? Wo ist er?«
Der sterbende Mann hatte sichtlich zu schwitzen angefangen und wandte das Gesicht ab. »Hauchen Sie mich nicht an – es ist wie Eis!«
»Der Core«, wiederholte Hunt, lehnte sich zurück und war vor Mitleid und Hilflosigkeit den Tränen nahe, »wo ist der Core?«
Keats lächelte und bewegte den Kopf unter Schmerzen hin und her. Die Anstrengung seines Atmens hörte sich an, als würde Wind durch einen zerfetzten Blasebalg wehen. »Wie Spinnen im Netz«, murmelte er, »Spinnen im Netz. Weben ... lassen uns für sie weben ... dann spinnen sie uns ein und saugen uns aus. Wie Fliegen, die in einem Spinnennetz gefangen sind.«
Hunt hörte auf zu schreiben und hörte sich den Rest dieses scheinbar sinnlosen Gestammels an. Dann begriff er plötzlich. »Mein Gott«,
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