Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
bewegte sich auf dem Kissen hin und her, eine Gebärde, die als Ersatz für Gelächter gelten konnte. »Wir alle könnten es, Hunt. Der Menschheit Narretei und größter Stolz. Wir akzeptieren unsere Schmerzen. Wir machen Platz für unsere Kinder. Damit haben wir uns das Recht verdient, zu dem Gott zu werden, von dem wir geträumt haben.«
Hunt sah nach unten und stellte fest, daß er vor hilfloser Frustration die Fäuste geballt hatte. »Wenn Sie das können – zu dieser Macht werden können –, dann machen Sie es! Bringen Sie uns von hier fort!«
Keats schloß die Augen. »Kann nicht. Ich bin nicht Der Kommende, sondern Der Zuvor Kommende. Nicht der Getaufte, sondern der Täufer. Merde, Hunt, ich bin Atheist! Nicht einmal Severn konnte mich überzeugen, als ich im Tod ertrank!« Keats packte Hunts Hemd mit einer Heftigkeit, die dem älteren Mann Angst machte. »Schreiben Sie!«
Und Hunt sputete sich, den uralten Federhalter und das rauhe Papier zu finden und kritzelte hektisch, damit er die Worte niederschreiben konnte, die Keats ihm zuflüsterte:
A wondrous lesson in thy silent face:
Knowledge enormous makes a god of me.
Names, deeds, gray legends, dire events, rebellions,
Majestic, sovran voices, agonies,
Creations and destroyings, all at once
Pour into the wide hollows of my brain,
And deify me, as if some blithe wine
Or bright elixier peerless I had drunk,
And so become immortal.
Doch wunderbare Lehre
Les ich in deinem Antlitz, welches schweigt.
Unendlich Wissen macht mich heut zum Gott.
Und Namen, Taten, graue Sagen, böse Begebenheiten, hehrste
Stimmen, Marter, Erschaffung und Vernichtung allesamt
Strömt in die weiten Höhlen meines Hirns,
Und das vergöttlicht mich, als hätt ich Glutwein
Oder ein sonder Elixier getrunken
Und ward davon unsterblich.
Zitiert nach »Hyperion« in: John Keats: Gedichte. Deutsch von Alexander von Bernus, Heidelberg 1958, Verlag Lambert Schneider, S. 128.
Keats lebte noch drei schmerzhafte Stunden, ein Schwimmer, der gelegentlich aus seinem Meer der Schmerzen auftauchte, um zu atmen oder einen drängenden Unsinn zu flüstern. Einmal, lange nach Einbruch der Dunkelheit, zupfte er Hunt am Ärmel und flüsterte hinreichend verständlich: »Wenn ich tot bin, wird Ihnen das Shrike nichts tun. Es wartet auf mich. Es gibt vielleicht keinen Weg nach Hause, aber es wird Ihnen nichts tun, wenn Sie danach suchen.« Dann fing Keats wieder an zu reden, als Hunt sich gerade über ihn gebeugt hatte, um festzustellen, ob noch Atem in den Lungen des Dichters blubberte, und sprach unter Hustenanfällen weiter, bis er Hunt genaue Anweisungen gegeben hatte, wie er auf dem protestantischen Friedhof von Rom in der Nähe der Pyramide von Gaius Cestius begraben werden wollte.
»Unsinn, Unsinn«, murmelte Hunt immer wieder wie ein Mantra und drückte die heiße Hand des jungen Mannes.
»Blumen«, flüsterte Keats ein wenig später, als Hunt gerade die Lampe auf der Kommode angezündet hatte. Der Dichter sah mit großen Augen und einem Ausdruck unverwässerten, kindlichen Staunens zur Decke. Hunt blickte hinauf und sah verblaßte gelbe Rosen, die auf die blauen Quadrate der Decke gemalt worden waren. »Blumen ... über mir«, flüsterte Keats zwischen gequälten Atemzügen.
Hunt stand am Fenster und starrte in die Schatten jenseits der spanischen Treppe, als die schmerzhaften Atemgeräusche hinter ihm schwächer wurden und aufhörten und Keats keuchte: »Severn ... heben Sie mich hoch! Ich sterbe.«
Hunt setzte sich auf das Bett und hielt ihn fest. Hitze wurde von dem kleinen Körper abgestrahlt, der nichts zu wiegen schien, als wäre seine Grundsubstanz im Feuer des Fiebers verbrannt. »Keine Angst. Seien Sie stark. Und danken Sie Gott, daß es gekommen ist!« keuchte Keats, dann hörte das schreckliche Krächzen auf. Hunt half Keats, sich wieder hinzulegen, während die Atmung wieder einen normalen Rhythmus annahm.
Hunt wechselte das Wasser im Becken, befeuchtete ein frisches Tuch, kam zurück – und stellte fest, daß Keats tot war.
Später, als die Sonne gerade aufging, hob Hunt den kleinen Leichnam hoch – den er in frische Leintücher von seinem eigenen Bett gewickelt hatte – und ging hinaus in die Stadt.
Als Brawne Lamia das Ende des Tals erreicht hatte, hatte der Sturm nachgelassen. Als sie am Höhlengrab vorbeikam, hatte sie dasselbe unheimliche Leuchten gesehen, das auch von den anderen Gräbern ausging, aber sie hörte auch einen
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