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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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erwähnt, noch weniger das Vorhandensein einer Kathedrale. Es ist fast unvorstellbar, dass die verstreute Saatschiffkolonie vor vierhundert Jahren eine zahlenmäßig so große Gemeinde hervorgebracht haben könnte, dass die Anwesenheit eines Bischofs gerechtfertigt gewesen wäre, geschweige denn die einer Kathedrale. Und doch war sie da.
    Ich stöberte in den Schatten der Sakristei. Staub und zerfallener Mörtel hingen wie Weihrauch in der Luft und schwebten in den Umrissen von zwei Strahlen Sonnenlicht, das durch schmale Fenster hoch oben hereinfiel. Ich trat in eine größere sonnenhelle Fläche und näherte mich einem Altar bar jeglichen
Schmucks, abgesehen von Sprüngen und Rissen, die herabgefallene Steinsplitter verursacht hatten. Das große Kreuz, das hinter dem Altar an der Ostwand gehangen hatte, war ebenfalls heruntergestürzt und lag als ein Haufen Keramiksplitter zwischen den Mauersteintrümmern. Ohne bewussten Gedanken trat ich hinter den Altar, hob die Arme und begann mit der Zeremonie der Eucharistie. Dies hatte weder etwas Parodistisches noch Melodramatisches an sich, keine Symbolik und keinerlei verborgene Absichten; es handelte sich lediglich um die automatische Reaktion eines Priesters, der seit mehr als sechsundvierzig Jahren seines Lebens fast täglich die Messe gelesen hatte und sich nun vor die Aussicht gestellt sah, niemals wieder am tröstlichen Ritual dieser Feier teilzunehmen.
    Mit nicht geringem Schrecken stellte ich fest, dass ich eine Gemeinde hatte. Die alte Frau kniete in der vierten Bankreihe. Ihr schwarzes Kleid und der Schal verschmolzen so perfekt mit den Schatten, dass lediglich das blasse Oval ihres Gesichts zu sehen war, das, faltig und zerfurcht, körperlos in der Dunkelheit schwebte. Verblüfft hielt ich in der Litanei der Einsegnung inne. Sie sah mich an, aber etwas an ihren Augen überzeugte mich selbst auf die Entfernung sofort, dass sie blind war. Einen Moment lang konnte ich nicht sprechen und stand stumm da, blinzelte ins staubige Licht, in das der Altar getaucht war, und versuchte, mir dieses geisterhafte Bild zu erklären, während ich gleichzeitig damit beschäftigt war, mir eine Erklärung für meine eigene Anwesenheit und mein Tun zurechtzulegen.
    Als ich endlich die Stimme wiederfand und sie ansprach – die Worte hallten in der Weite –, stellte ich fest, dass sie aufgestanden war. Ich konnte ihre Füße auf dem Steinboden kratzen hören. Ein Keuchen war zu vernehmen, dann erhellte ein kurzes Aufflackern von Licht ihr Profil weit rechts vom
Altar. Ich schirmte die Augen vor dem Sonnenlicht ab und stieg über das Geröll, wo einmal die Altareinfassung gewesen war. Ich rief ihr nach, bot ihr Trost und bat sie, keine Angst zu haben, obwohl ich derjenige war, dem kalte Schauer über den Rücken liefen. Ich bewegte mich rasch, aber als ich die abgeschirmte Ecke des Kirchenschiffs erreichte, war sie fort. Eine schmale Tür führte in das verfallene Domkapitel und zum Flussufer. Es war nichts von ihr zu sehen. Ich begab mich wieder in das dunkle Kirchenschiff und hätte ihre Anwesenheit mit Freuden meiner Einbildung zugeschrieben, einem Wachtraum nach so vielen Monaten kryonischer Traumlosigkeit, wäre nicht ein greifbarer Beweis vorhanden gewesen, dass sie tatsächlich existiert hatte: In der kühlen Dunkelheit brannte eine einsame rote geweihte Kerze, deren winzige Flamme in unsichtbaren Böen und Luftströmungen flackerte.
    Ich habe diese Stadt satt. Ich bin ihre heidnischen Prätentionen und ihre falschen Historien leid. Hyperion ist eine Dichterwelt ohne Poesie. Keats selbst ist eine Mischung aus falschem, kitschigem Klassizismus und hirnloser, dröhnender Energie. In der Stadt gibt es drei Zentren der Zen-Gnostiker und vier muslimische Hohe Moscheen, aber die wirklichen Häuser der Anbetung sind die zahllosen Saloons und Bordelle, der riesige Marktplatz, wo die Fiberplastiklieferungen aus dem Süden verarbeitet werden, und die Tempel des Shrike-Kults, wo verlorene Seelen ihre selbstmörderische Hoffnungslosigkeit hinter einem Schild aus seichtem Mystizismus verbergen. Der ganze Planet stinkt nach Mystizismus ohne Offenbarung.
    Zum Teufel damit!
    Morgen reise ich nach Süden. Es gibt Gleiter und andere Flugzeuge auf dieser absurden Welt, aber für das gemeine Volk scheint der Verkehr zwischen den verfluchten Inselkontinenten
auf Schiffe beschränkt zu sein – was ewig dauert, wie man mir gesagt hat –, oder aber auf eines der riesigen Passagierluftschiffe,

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