Die Hyperion-Gesänge
und türkis über ihnen, als das alte Landungsboot plötzlich in die obersten Schichten der Atmosphäre eindrang, Flammen vor den Bullaugen loderten und sie danach lautlos etwa sechzig Kilometer über dunklen Wolkenmassen und Meeren im Sternenlicht dahinrasten, bis schließlich der Sonnenaufgang wie eine spektrale Sturmflut aus Licht auf sie zugestürzt kam.
»Wunderbar«, flüsterte Paul Duré mehr zu sich selbst als zu seinem jungen Begleiter. »Wunderbar. In solchen Augenblicken habe ich eine Ahnung … eine leise Ahnung … welches Opfer es für Gottes Sohn gewesen sein muss, zum Menschensohn zu werden.«
Hoyt wollte reden, aber Pater Duré sah weiter zum Bullauge hinaus und war in Gedanken verloren. Zehn Minuten später landeten sie auf dem interstellaren Raumhafen von Keats, wo Pater Duré alsbald in den Strudel von Zoll- und Gepäckabfertigungsritualen
gezogen wurde, und weitere zwanzig Minuten später flog ein durch und durch enttäuschter Lenar Hoyt wieder dem Weltraum und der Nadia Oleg entgegen.
»Fünf Wochen meiner Zeit später kehrte ich nach Pacem zur ück«, sagte Pater Hoyt. »Ich hatte acht Jahre verloren, aber aus irgendeinem Grund reichte mein Gefühl des Verlustes tiefer als zu diesem simplen Sachverhalt. Sofort nach meiner Rückkehr informierte mich der Bischof darüber, dass man in den vier Jahren seines Aufenthalts auf Hyerpion nichts von Pater Duré gehört hatte. Der Neue Vatikan hatte ein Vermögen für Fatline-Anfragen ausgegeben, aber weder die Kolonialbehörden noch das Konsulat in Keats hatten den vermissten Priester aufspüren können.«
Hoyt hielt inne und trank aus seinem Wasserglas, und der Konsul sagte: »Ja, ich kann mich an die Suche erinnern. Ich habe Duré selbstverständlich nie kennengelernt, aber wir haben uns größte Mühe gegeben, ihn aufzuspüren. Mein Attaché Theo hat im Laufe der Jahre viel Zeit und Energie auf den Fall des vermissten Priesters aufgewendet. Aber außer ein paar widersprüchlichen Meldungen, wonach er in Port Romance gesehen worden sein soll, fanden wir keine Spur von ihm. Und diese Meldungen reichten in die Zeit kurz nach seiner Ankunft zurück. Es gab Hunderte Plantagen ohne Funk oder Kom-Anschlüsse da draußen, weil sie neben Fiberplastik in vielen Fällen auch verbotene Drogen ernteten. Ich denke, wir haben nie mit Leuten auf der richtigen Plantage gesprochen. Zumindest war der Fall Pater Duré bei meiner Abreise noch nicht abgeschlossen.«
Pater Hoyt nickte. »Ich landete einen Monat nach der Amtseinführung Ihres Nachfolgers in Keats. Der Bischof war erstaunt gewesen, als ich mich freiwillig zur Rückkehr meldete. Seine Heiligkeit selbst gewährte mir eine Audienz. Ich war
nicht einmal sieben lokale Monate auf Hyperion, doch als ich wieder aufbrach und ins Netz zurückkehrte, wusste ich über das Schicksal von Pater Duré Bescheid.« Hoyt klopfte auf die beiden fleckigen Lederbände auf dem Tisch. »Wenn meine Geschichte vollständig sein soll«, sagte er mit belegter Stimme, »muss ich Auszüge hieraus vorlesen.«
Das Baumschiff Yggdrasil hatte eine Drehung vollzogen, sodass die Baumkrone die Sonne verdeckte. Als Folge lagen die Speiseplattform und der gekrümmte Blattbaldachin dahinter im Dunkel, aber anstelle von ein paar tausend Sternen am Himmel, wie man sie von der Oberfläche eines Planeten gesehen hätte, leuchteten buchstäblich eine Million Sonnen über, neben und unter der Gruppe am Tisch. Und Hyperion war inzwischen eine deutlich zu erkennende Kugel, die wie ein tödliches Geschoss auf sie zuraste.
»Lesen Sie«, sagte Martin Silenus.
Aus dem Tagebuch von Pater Paul Duré
TAG 1:
So beginnt mein Exil.
Ich bin etwas ratlos, wie ich mein neues Tagebuch datieren soll. Nach dem klösterlichen Kalender auf Pacem schreiben wir den siebzehnten Tag des Thomas-Monats im Jahre des Herrn 2732. Laut Hegemoniestandard schreiben wir den 12. Oktober 589 n. C. Laut der Zählung von Hyperion, so hat mir der verhutzelte Portier des alten Hotels, wo ich wohne, erzählt, haben wir den dreiundzwanzigsten Tag von Lycius (dem letzten ihrer sieben Monate zu je dreiundvierzig Tagen), entweder 426 n. L. N. (nach Landungsboot-Notlandung!) oder des hundertachtundzwanzigsten Jahres der Regentschaft des Traurigen
Königs Billy, der mindestens hundert dieser Jahre überhaupt nicht regiert hat.
Zum Teufel damit! Ich nenne den Tag einfach Tag 1 meines Exils.
Anstrengender Tag. (Seltsam, dass man nach monatelangem Schlaf müde sein kann, aber man
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