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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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meinen kleinen Fäusten nach und stand vom Boden auf, um noch einmal zuzuschlagen, auch wenn sie mir mit ihren Hieben die Nase blutig und die Zähne locker gehauen hatten.
    »Ich verstehe«, sagte ich leise. Mein Teller war leer. Ich hob den letzten Rest meines schlechten Champagners und prostete Diana Philomel zu.
    »Malen Sie mich«, sagte sie.
    »Pardon?«
    »Malen Sie mich, M. Severn. Sie sind doch Künstler.«
    »Maler«, sagte ich und machte eine hilflose Geste mit den leeren Händen. »Ich fürchte, ich habe keine Utensilien.«
    Diana Philomel steckte eine Hand in die Tasche ihres Mannes und reichte mir einen Lichtschreiber. »Malen Sie mich. Bitte.«
    Ich malte sie. Das Porträt nahm in der Luft zwischen uns Form an, Linien stiegen und fielen und krümmten sich in sich selbst wie Neonstränge einer Drahtskulptur. Eine kleine Menge Zuschauer fand sich ein. Gelinder Applaus wurde laut, als ich fertig war. Das Bild war nicht schlecht. Ich hatte die langen, anmutigen Kurven des Halses der Dame getroffen, den hochgesteckten Zopf des Haars, die vorstehenden Wangenknochen  – sogar das schwache, zweideutige Funkeln der Augen. Es war so gut, wie ich es eben fertigbrachte, nachdem mich RNS-Medizin und Unterricht auf die Persönlichkeit vorbereitet hatten. Der wahre Joseph Severn hätte es besser gekonnt – hatte es besser gekonnt. Ich weiß noch, wie er mich gemalt hat, als ich im Sterben lag.

    M. Diana Philomel strahlte vor Begeisterung. M. Hermund Philomel sah finster drein.
    Ein Ruf ertönte. »Da sind sie!«
    Die Menge murmelte, stöhnte und verstummte. Leuchtkugeln und Gartenbeleuchtung wurden gedämpft und dann abgeschaltet. Tausende Gäste richteten die Blicke himmelwärts. Ich löschte das Bild und steckte Hermund den Lichtschreiber wieder in die Tasche.
    »Das ist die Armada«, sagte ein älterer Herr würdevollen Aussehens im Schwarz von FORCE. Er hob das Glas und zeigte seiner jugendlichen Begleiterin etwas damit. »Sie öffnen gerade das Portal. Die Aufklärer werden zuerst durchkommen, dann die Schlachtschiffeskorten.«
    Das militärische Farcasterportal von FORCE war von unserem Beobachtungspunkt aus nicht zu sehen; ich dachte mir, dass es selbst im Weltraum nicht mehr als ein rechteckiges Flimmern im Sternenfeld sein würde. Aber die Fusionsstreifen der Schlachtschiffe waren deutlich zu erkennen – zuerst wie ein Schwarm Glühwürmchen oder leuchtende Spinnweben, dann als strahlende Kometen, als sie die Haupttriebwerke zündeten und durch die cislunare Verkehrsregion des Tau-Ceti-Systems beschleunigten. Ein neuerliches kollektives Stöhnen war zu hören, als die Schlachtschiffe, deren Triebwerksfeuer hundertmal länger als die der Aufklärer waren, aus dem Farcaster materialisierten. Der Nachthimmel von TC 2 war vom Zenit bis zum Horizont von Narben goldroter Linien überzogen.
    Irgendwo setzte Beifall ein, und binnen weniger Sekunden hallten donnernder Applaus und heisere Jubelrufe über die Rasenflächen und Gartenanlagen im Deer Park des Regierungshauses hinweg, als die gutgekleidete Menge der Milliardäre und Regierungsangestellten und Angehörigen der Adelshäuser von hundert Welten alles vergaßen, abgesehen von Hurrapatriotismus
und Kriegswahn, die nach mehr als anderthalb Jahrhunderten Schlaf nun wieder geweckt wurden.
    Ich applaudierte nicht. Unbeachtet von allen um mich herum brachte ich meinen Trinkspruch zu Ende – nicht auf Lady Philomel, sondern auf die anhaltende Dummheit meiner Spezies und kippte den Rest Champagner hinunter. Er schmeckte fad.
    Über uns waren die bedeutenderen Schiffe der Flotte ins System übergesetzt. Ich wusste nach einem kurzen Kontakt mit der Datensphäre – deren Oberfläche inzwischen so von Informationsströmen überflutet war, dass sie einem sturmgepeitschten Meer glich –, dass das Kernstück der Armada von FORCE:Weltraum aus über hundert großen Spinschiffen bestand: mattschwarzen Gefechtsträgern, die mit eingezogenen Geschütztürmen wie Speere im Flug aussahen; Drei-C-Kommandoschiffen, so schön und kantig wie Meteore aus schwarzem Kristall; kugelförmigen Zerstörern, die zu groß geratenen Schlachtschiffen glichen, was sie ja auch waren; Grenzverteidigungsforts, mehr Energie als Materie, deren gewaltige Sperrfelder auf totale Reflektion geschaltet waren, gleißende Spiegel, in denen sich Tau Ceti und Hunderte von Feuerspuren darum spiegelten; schnellen Kreuzern, die sich wie Haie in dem langsameren Schwarm der großen Schiffe bewegten;

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