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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»M. Severn wurde vom Kunstministerium dazu bestimmt, in den folgenden Tagen und Wochen eine Reihe Zeichnungen von mir anzufertigen. In der Theorie, glaube ich, sollen diese eine historische
Bedeutung besitzen und einmal zu einem formalen Porträt führen. Wie dem auch sei, M. Severn wurde eine goldene Sicherheitsfreigabe Klasse T gewährt, und wir können offen vor ihm sprechen. Darüber hinaus schätze ich seine Offenheit. Vielleicht dient sein Eintreffen als Hinweis, dass unsere Versammlung beendet ist. Ich werde mich morgen früh um acht Uhr mit Ihnen allen im Generalstabsraum treffen, bevor die Flotte in den Raum um Hyperion übersetzt.«
    Die Gruppe löste sich augenblicklich auf. General Morpurgo sah mich finster an, als er ging. Senator Kolchev warf mir im Vorbeigehen neugierige Blicke zu. Ratgeber Albedo löste sich lediglich in nichts auf. Leigh Hunt war neben Gladstone und mir der Einzige, der blieb. Er machte es sich bequemer, indem er ein Bein über die Armlehne des unschätzbar kostbaren Prä-Hegira-Sessels hängte, auf dem er saß. »Setzen Sie sich«, sagte er.
    Ich betrachtete die Präsidentin. Sie hatte hinter dem gewaltigen Schreibtisch Platz genommen und nickte jetzt. Ich setzte mich auf den Stuhl mit gerader Lehne, den General Morpurgo innegehabt hatte.
    Präsidentin Gladstone sagte: »Finden Sie es wirklich dumm, Hyperion zu verteidigen?«
    »Ja.«
    Gladstone bildete mit den Fingern einen Giebel und pochte gegen die Lippen. Hinter ihr zeigte das Fenster die Party zu Ehren der Armada, die in stummer Betriebsamkeit weiterging. »Wenn Sie Hoffnungen haben, mit Ihrem … äh … Gegenstück vereint zu werden«, sagte sie, »müsste es doch eigentlich in Ihrem Interesse liegen, dass wir den Feldzug nach Hyperion durchführen.«
    Ich sagte nichts. Die Perspektive des Fensters veränderte sich und zeigte den Nachthimmel, an dem immer noch die Fusionsstreifen leuchteten.

    »Haben Sie Ihre Zeichenausrüstung mitgebracht?«, fragte Gladstone.
    Ich holte Bleistift und Notizblock heraus, die Utensilien, die ich immer bei mir trug, was ich vor Diana Philomel geleugnet hatte.
    »Zeichnen Sie, während wir reden«, sagte Meina Gladstone.
    Ich fing an zu skizzieren und zeichnete die Umrisse der entspannten, fast zusammengesunkenen Haltung, dann arbeitete ich an den Einzelheiten des Gesichts. Die Augen faszinierten mich.
    Ich merkte, dass Leigh Hunt mich durchdringend betrachtete. »Joseph Severn«, sagte er. »Eine interessante Namenswahl.«
    Ich benützte rasche, kühne Linien, um Gladstones hohe Stirn und markante Nase einzufangen.
    »Wissen Sie, weshalb Menschen argwöhnisch gegenüber Cybrids sind?«, fragte Hunt.
    »Ja«, sagte ich. »Das Frankensteinmonster-Syndrom. Angst vor allem in Menschengestalt, das nicht ganz menschlich ist. Ich glaube, das ist der wahre Grund dafür, dass Androiden gesetzlich verboten wurden.«
    »Hm-hmm«, stimmte Hunt zu. »Aber Cybrids sind völlig menschlich, oder nicht?«
    »Genetisch gesehen ja«, sagte ich. Ich musste an meine Mutter denken, an die Zeit, als ich ihr während ihrer Krankheit vorgelesen hatte. Ich dachte an meinen Bruder Tom. »Aber sie sind auch Teil des Core«, sagte ich, »und damit gilt für sie die Beschreibung ›nicht ganz menschlich‹.«
    »Sind Sie Teil des Core?«, fragte Meina Gladstone und drehte sich ganz zu mir um. Ich fing eine neue Skizze an.
    »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Ich kann mich ungehindert in den Regionen bewegen, zu denen sie mir Zugang gestatten, aber das ist mehr, als würde jemand sich in die Datensphäre
einklinken, als es der wahren Fähigkeit einer Core-Persönlichkeit entspricht.« Im Dreiviertelprofil war ihr Gesicht interessanter gewesen, aber die Augen waren frontal noch fesselnder. Ich arbeitete am Netz der Fältchen, die von den Augenwinkeln ausgingen. Meina Gladstone hatte offenbar nie Poulsen-Behandlungen bekommen.
    »Wenn es möglich wäre, Geheimnisse vor dem Core zu bewahren« , sagte Gladstone, »wäre es Narretei, Ihnen freien Zutritt zum Regierungsgebäude zu gewähren. Aber so …« Sie ließ die Hände sinken und richtete sich auf. Ich schlug ein neues Blatt auf. »Aber so«, sagte Gladstone, »besitzen Sie Informationen, die ich brauche. Stimmt es, dass Sie die Gedanken Ihres Gegenstücks lesen können, der ersten wiedererweckten Persönlichkeit?«
    »Nein«, sagte ich. Es war schwer, das komplizierte Zusammenwirken von Linien und Muskeln an ihren Mundwinkeln zu treffen. Ich gab mein Bemühen auf, es

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