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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Lady Dianas Hausapotheke fand ich eine große Auswahl an Mitteln. Zusätzlich zum handelsüblichen Aspirin und den Endorphinen sah ich Stims, Tranks, Flashbackröhrchen, Orgasmusderms, Kortikalkontaktreizer, Cannabisinhalatoren, Nonrekom-Tabakzigaretten und hundert weitere nicht so leicht zu identifizierende Drogen. Ich fand ein Glas, spülte zwei Tagdanachs hinunter und spürte innerhalb von Sekunden, wie Kopfschmerzen und Übelkeit nachließen.

    Lady Diana war wach und saß nackt im Bett, als ich zurückkam. Ich wollte lächeln, doch dann sah ich die beiden Männer an der Osttür stehen. Keiner war ihr Mann, aber beide waren ebenso groß und kultivierten den halslosen, faustballenden, verkniffenen Stil, den Hermund Philomel perfektioniert hatte. Im langen Verlauf der Menschheitsgeschichte hat es gewiss Männer gegeben, die überrascht und nackt vor zwei angezogenen und feindlich gesonnenen Fremden und obendrein männlichen Rivalen stehen konnten, ohne zusammenzuzucken, ohne den Drang zu verspüren, die Genitalien zu bedecken und sich zu bücken, und ohne sich völlig verwundbar und im Nachteil zu fühlen – aber so ein Mann war ich nicht.
    Ich duckte mich, bedeckte meine Blöße, wich in Richtung Bad zurück und sagte: »Was … Wer …« Ich sah hilfesuchend zu Diana Philomel und erblickte ein Lächeln – ein Lächeln, das der Grausamkeit entsprach, die ich anfänglich in ihren Augen gesehen hatte.
    »Schnappt ihn. Schnell! «, fauchte meine ehemalige Bettgefährtin.
    Ich schaffte es ins Bad und streckte gerade die Hand nach dem Schalter aus, mit dem ich die Tür zusperren konnte, als mich der nähere der beiden Männer packte, ins Schlafzimmer zurückstieß und zu seinem Partner schubste. Beide Männer stammten von Lusus oder einer Welt mit entsprechend hoher Schwerkraft oder sie ernährten sich ausschließlich von einer Diät aus Steroiden und Samsonzellen, denn sie schubsten mich mühelos hin und her. Es spielte keine Rolle, wie groß sie waren. Abgesehen von meiner kurzen Laufbahn als Schulhofschläger bot mein Leben – die Erinnerung an mein Leben – wenig Beispiele von Gewalt und noch weniger Gelegenheiten, wo ich als Sieger aus einem Handgemenge hervorgegangen war. Ein Blick auf diese beiden Männer, die sich
auf meine Kosten amüsierten, verriet mir, dass sie dem Typ entsprachen, von dem man las, an den man aber nie richtig glaubte – Individuen, die Knochen brechen, Nasen plattschlagen oder Kniescheiben zermalmen konnten, ohne mehr Gewissensbisse zu verspüren als ich, wenn ich einen leeren Kugelschreiber wegwarf.
    »Schnell !« zischte Diana Philomel wieder.
    Ich klinkte mich in die Datensphäre ein, den Gedächtnisspeicher des Hauses, Dianas Komlognabelschnur, die rudimentäre Verbindung der beiden Schurken zum Informationsuniversum  … und obwohl ich jetzt wusste, wo ich mich befand: dem Landhaus der Philomels, sechshundert Kilometer von der Hauptstadt Pirre entfernt im Agrikulturgürtel des terraformten Renaissance Minor … und wer die beiden Schurken waren: Debin Farrus und Hemmit Gorma, Fabriksicherheitskräfte der Schrubbergewerkschaft von Heaven’s Gate … hatte ich nicht die geringste Ahnung, warum einer mir die Knie in den Rücken stemmte und der andere mein Komlog mit dem Absatz zermalmte und mir gleichzeitig eine Osmosehandschelle über das Handgelenk schob, den Arm hinauf.
    Ich hörte das Zischen und erschlaffte.
     
    »Wer sind Sie?«
    »Joseph Severn.«
    »Ist das Ihr richtiger Name?«
    »Nein.« Ich spürte die Wirkung der Wahrheitsdroge und wusste, ich konnte ihr entgehen, indem ich abhaute, in die Datensphäre zurückwich oder mich ganz in den Core zurückzog. Aber das hätte bedeutet, meinen Körper der Barmherzigkeit meiner Inquisitoren zu überlassen. Ich blieb. Ich hatte die Augen geschlossen, kannte aber die nächste Stimme.
    »Wer bist du?«, fragte Diana Philomel.
    Ich seufzte. Diese Frage war schwer wahrheitsgemäß zu beantworten.
»John Keats«, sagte ich schließlich. Ihr Schweigen verriet mir, dass ihnen der Name nichts sagte. Warum auch?, fragte ich mich. Ich selbst hatte einmal prophezeit, dass mein Name »in Wasser geschrieben« sein würde. Ich konnte mich zwar nicht bewegen oder die Augen aufschlagen, aber es gelang mir mühelos, die Datensphäre anzuzapfen und ihren Zugangsvektoren zu folgen. Der Name des Dichters befand sich unter den achthundert John Keatses, die ihnen das öffentliche Archiv auflistete, aber sie schienen sich nicht für jemanden

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