Die Hyperion-Gesänge
»Ich begleite Sie.«
Pater Duré blieb kniend neben Het Masteen. »Nur zu. Ich bleibe bei ihm.«
»Einer von uns wird sich in den nächsten paar Minuten bei Ihnen melden«, versprach der Konsul.
Das Tal glomm im fahlen Licht der Zeitgräber. Wind toste von Süden, aber der Luftstrom lag diesen Abend höher, über den Felswänden, daher wurden die Dünen am Talboden nicht bewegt. Sol folgte dem Konsul, der den unebenen Pfad zur Talsohle hinabschritt und sich dann Richtung Taleingang wandte. Gelinde Anflüge von déjà vu erinnerten Sol an die heftigen Zeitgezeiten vor einer Stunde, aber allmählich ließen sogar die Nachwirkungen dieses bizarren Sturms nach.
Wo der Pfad breiter wurde und in den Talboden überging, schritten Sol und der Konsul nebeneinander am verkohlten Schlachtfeld des Kristallmonolithen vorbei, von dessen Struktur ein milchiges Leuchten ausging, das von den zahllosen Scherben reflektiert wurde, die auf dem Talboden verteilt lagen, dann ein wenig in die Höhe und am Jadegrab mit seiner hellgrünen Phosphoreszenz vorbei und dann bogen sie wieder ab und folgten den sanften Kurven, die zur Sphinx führten.
»Mein Gott«, flüsterte Sol, hastete los und versuchte, dem schlafenden Kind in der Trage nicht weh zu tun. Er kniete neben der dunklen Gestalt auf der obersten Stufe nieder.
»Brawne?«, fragte der Konsul, der zwei Stufen weiter unten stehenblieb und nach dem plötzlichen Anstieg keuchend atmete.
»Ja.« Sol wollte ihren Kopf heben, aber seine Hand zuckte zurück, als er etwas Glitschiges und Kaltes ertastete, das aus ihrem Schädel ragte.
»Ist sie tot?«
Sol hielt den Kopf seiner Tochter dichter an die Brust, während er am Hals der Frau nach dem Puls tastete. »Nein«, sagte er und holte tief Luft. »Sie lebt … aber sie ist bewusstlos. Geben Sie mir Ihr Licht.«
Sol nahm die Taschenlampe, ließ den Lichtkegel über Brawne Lamias liegende Gestalt wandern und folgte dem silbernen Kabel – »Tentakel« wäre eine bessere Beschreibung gewesen, da dem Ding eine fleischige Masse anhaftete, bei der man an einen organischen Ursprung denken musste –, das von der Neuralsteckdose in ihrem Schädel über die breiten Stufen der Sphinx durch das offene Portal verlief. Die Sphinx selbst leuchtete am hellsten von allen Gräbern, aber der Eingang war sehr dunkel.
Der Konsul kam näher. »Was ist das?« Er wollte das silberne Kabel berühren, schrak aber ebenso rasch zurück wie Sol. »Mein Gott, es ist warm.«
»Als wäre es lebend«, stimmte Sol zu. Er hatte Brawnes Hände gerieben, jetzt schlug er ihr behutsam auf die Wangen und versuchte, sie zu wecken. Sie regte sich nicht. Er wirbelte herum und folgte mit dem Lichtstrahl dem Kabel, das im Eingangskorridor verschwand. »Ich glaube nicht, dass sie das da freiwillig an sich angeschlossen hat.«
»Das Shrike«, sagte der Konsul. Er beugte sich näher hin, damit er über Brawnes Handgelenkkomlog Biomonitorausdrucke abrufen konnte. »Alles ist normal, außer ihren Gehirnströmen, Sol.«
»Was sagen die?«
»Dass sie tot ist. Zumindest gehirntot. Keinerlei höhere Funktionen.«
Sol seufzte und wippte auf den Absätzen. »Wir müssen feststellen, wohin dieses Kabel verläuft.«
»Können wir es nicht einfach aus der Neuralsteckdose herausziehen?«
»Sehen Sie«, sagte Sol und richtete das Licht auf Brawnes Hinterkopf, während er gleichzeitig eine Masse dunkler Locken hochhielt. Die Neuralsteckdose, normalerweise eine wenige Millimeter durchmessende Plasfleischdisk mit einer
Zehn-Mikrometer-Dose, schien geschmolzen zu sein, das Fleisch bildete einen roten Wulst, der sich direkt mit den Mikroleitern des Metallkabels verband.
»Es wäre ein chirurgischer Eingriff erforderlich, um das zu entfernen«, flüsterte der Konsul. Er berührte den Fleischwulst, der wie entzündet aussah. Brawne bewegte sich nicht. Der Konsul nahm die Taschenlampe wieder an sich und stand auf. »Sie bleiben bei ihr. Ich gehe rein.«
»Benützen Sie die Komkanäle«, sagte Sol, der wusste, wie nutzlos sie beim Auf und Ab der Zeitgezeiten gewesen waren.
Der Konsul nickte und ging rasch los, ehe er aus Angst zögern konnte.
Das Chromkabel schlängelte sich den Hauptkorridor entlang und verschwand hinter dem Zimmer, in dem die Pilger in der Nacht zuvor geschlafen hatten, im Dunkeln. Der Konsul sah in das Zimmer, die Taschenlampe erhellte Decken und Rucksäcke, die sie in der Eile zurückgelassen hatten.
Er folgte dem Kabel um eine Biegung des Korridors; durch das
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