Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
da, während ein Raumschiff über die Kuppel des lapislazulifarbenen Himmels zog.
    »Es kommt!«, rief er, und Rachel regte sich und zappelte wie als Antwort.
    Eine Linie blauer Fusionsflammen leuchtete mit der Helligkeit, die Raumschiffen in der Atmosphäre vorbehalten ist. Sol sprang auf und ab und fühlte zum ersten Mal seit Tagen Erleichterung. Er schrie und hüpfte, bis Rachel vor Angst weinte. Sol hielt inne, hob sie hoch, obwohl er wusste, sie konnte die Augen noch nicht fokussieren, wollte aber dennoch, dass sie die Schönheit des Schiffs im Landeanflug sah, das über den fernen Gebirgszug schwebte und dann der Hochebene entgegensank.
    »Er hat es geschafft!«, schrie Sol. »Er kommt! Das Schiff wird …«
    Drei Donnerschläge rollten fast gleichzeitig über das Tal dahin. Die beiden ersten waren die Überschallknalls der »Fußabdrücke«
des Schiffes beim Bremsmanöver, die ihm vorauseilten. Der dritte war der Explosionsknall seiner Vernichtung.
    Sol sah, wie das glühende Stecknadelköpfchen am Ende der langen Fusionsspur plötzlich heller als die Sonne wurde, in einer Wolke aus Flammen und brennenden Gasen anwuchs und dann in zehntausend brennenden Trümmern zu Boden sank. Er versuchte, die Nachbilder auf seiner Netzhaut wegzublinzeln, während Rachel laut weinte.
    »Mein Gott«, flüsterte Sol. »Mein Gott.« An der völligen Zerstörung des Schiffs konnte kein Zweifel bestehen. Sekundäre Explosionen zerrissen den Himmel selbst aus dreißig Kilometern Entfernung, während Trümmer herabregneten und Rauch und Flammen hinter sich herzogen bis zur Wüste, den Bergen und dem Grasmeer dahinter. »Mein Gott!«
    Sol setzte sich in den warmen Sand. Er war zu erschöpft zum Weinen, zu leer, um etwas anderes zu tun als sein Kind zu wiegen, bis es aufhörte zu weinen.
    Zehn Minuten später blickte Sol auf, als zwei weitere Fusionsschweife über den Himmel brannten, diesmal vom Zenit nach Süden. Ein Schiff explodierte so weit entfernt, dass er das Geräusch nicht hören konnte. Das zweite stürzte hinter den südlichen Klippen ab, hinter dem Bridle Range.
    »Vielleicht war es nicht der Konsul«, flüsterte Sol. »Es könnte die Ouster-Invasion sein. Vielleicht wird das Schiff des Konsuls noch kommen.«
    Aber am Spätnachmittag war das Schiff immer noch nicht eingetroffen. Es war nicht da, als das letzte Tageslicht von Hyperions kleiner Sonne auf die Felswand schien und die Schatten Sol auf der obersten Stufe der Sphinx fanden. Es kam nicht, als das Tal in Schatten versank.
    Rachel war keine dreißig Minuten vor diesem Augenblick geboren worden. Sol sah nach der Windel, stellte fest, dass sie trocken war, und fütterte das Baby mit dem letzten Nahrungspack.
Beim Essen sah sie mit großen, dunklen Augen zu ihm auf und schien etwas in seinem Gesicht zu suchen. Sol erinnerte sich an die ersten Minuten, als er sie gehalten hatte, während Sarai sich unter warmen Decken von der Entbindung ausruhte; damals hatten die Augen des Babys mit demselben fragenden und fassungslosen Blick angesichts dieser sonderbaren Welt in seine geblickt.
    Der Abendwind brachte Wolken mit sich, die sich zunehmend über dem Tal zusammenbrauten. Das Grollen im Südwesten ertönte anfangs wie vereinzelte Donnerschläge, dann mit der ekelerregenden Regelmäßigkeit von Artillerie, wahrscheinlich Kern- oder Plasmaexplosionen in fünfhundert Klicks oder mehr Entfernung im Süden. Sol suchte den Himmel zwischen den dunklen Wolken ab und erblickte feurige Meteorspuren, die weißleuchtend vorbeizogen: ballistische Flugkörper oder Landungsboote. So oder so Tod für Hyperion.
    Sol achtete nicht darauf. Er sang Rachel leise etwas vor, während diese ihre Mahlzeit beendete. Er war zum Ende des Tals gegangen, aber jetzt kehrte er langsam zur Sphinx zurück. Die Gräber leuchteten wie niemals zuvor und erglühten im kalten Licht ionisierten Neons. Über ihm verwandelten die letzten Sonnenstrahlen die Wolken in eine Decke pastellfarbener Flammen.
    Keine drei Minuten blieben mehr bis zur letzten Feier von Rachels Geburt. Selbst wenn das Schiff des Konsuls jetzt eingetroffen wäre, wusste Sol, hätte er keine Zeit mehr gehabt, an Bord zu gelangen und sein Kind in den kryonischen Schlaf zu versetzen.
    Er wollte es auch nicht mehr.
    Sol ging langsam die Treppen zur Sphinx hinauf und musste daran denken, dass Rachel vor sechsundzwanzig Jahren ebenfalls hierhergekommen war, ohne das Schicksal zu ahnen, das in dieser dunklen Krypta auf sie wartete.

    Er verweilte

Weitere Kostenlose Bücher