Die Hyperion-Gesänge
hochgewachsene Gestalten in braunen Schutzoveralls, aber falls schon Soldaten von FORCE zur Verstärkung herbeigeeilt waren, so waren diese nicht zu sehen.
Bei den Leuten in der Schlange handelte es sich nicht um Einheimische – die Landbesitzer von Rifkin Heights und der Promenade besaßen mit Sicherheit Privatportale –, es waren mit ziemlicher Sicherheit Arbeiter von Urbarmachungsprojekten viele Klicks jenseits der Farnwälder und Parks. Keine Panik und kaum Unterhaltungen. Die Schlangen rückten mit der stoischen Geduld von Familien weiter, die sich einer Attraktion im Freizeitpark nähern. Wenige hatten mehr als eine Reisetasche oder einen Rucksack bei sich.
Haben wir einen solchen Gleichmut erlangt , fragte ich mich, dass wir uns selbst angesichts einer Invasion mit Würde verhalten können?
Heaven’s Gate blieben noch dreizehn Stunden bis zur Stunde null. Ich stellte mein Komlog auf das All-Wesen ein.
»… wenn wir dieser Bedrohung begegnen können, dann bewahren Welten, die wir lieben, vielleicht ihre Freiheit und das Leben im Netz kann einer sonnigen Zukunft entgegensehen. Aber wenn wir scheitern, werden das Netz, die Hegemonie, und alles, was wir achten und schätzen, in den Abgrund eines neuen Dunklen Zeitalters versinken, das viel finsterer wirken wird, da das Licht der Wissenschaft pervertiert und die Freiheit genommen werden wird. Wappnen wir uns darum für unsere Pflichten, und handeln wir, auf dass die Menschheit, sollte die Hegemonie der Menschen und das Protektorat
zehntausend Jahre währen, immer noch sagen kann: Dies war ihre größte Stunde.«
Irgendwo in der stillen, frisch riechenden Stadt unten begannen Schießereien. Zuerst das Rattern von Projektilwaffen, dann das tiefe Dröhnen von Anti-Aufstand-Schockern, dann Schreie und das Zischen von Laserwaffen. Die Menge auf der Promenade wogte vorwärts zum Terminex, und Polizisten tauchten aus dem Park auf, schalteten starke Halogenscheinwerfer ein, die die Menge in taghelles Licht tauchten, und befahlen durch Megafone, Ruhe zu bewahren oder weiterzugehen. Die Menge zögerte, wogte hin und her wie eine Qualle in tückischer Strömung und stürzte dann – aufgeschreckt von neuerlichen Schüssen, diesmal viel näher – vorwärts Richtung Portalplattformen.
Die Polizisten feuerten Tränengas und Schwindelkanister. Zwischen Mob und Farcaster erwachten violette Sperrfelder pfeifend zum Leben. Eine Flotte Militär-EMVs und Sicherheitsgleiter schwebten dicht über der Stadt heran und richteten Suchscheinwerfer nach unten. Einer der Lichtstrahlen erfasste mich, verweilte auf mir, bis mein Komlog auf ein Verhörsignal reagierte, und zog dann weiter. Es fing an zu regnen.
So viel zu Gleichmut.
Die Polizei hatte den öffentlichen Terminex von Rifkin Heights gesichert und zog sich durch das Portal des Atmosphärischen Protektorats zurück, das ich benützt hatte. Ich beschloss, einen anderen Weg zu wählen.
FORCE-Kommandos bewachten die Säle des Regierungsgebäudes und durchsuchten die Farcasterankömmlinge, obwohl dieses Portal im ganzen Netz eines der am schwierigsten zu erreichenden war. Ich musste durch drei Kontrollpunkte, ehe ich den Regierungswohnkomplex erreichte, wo mein Apartment
lag. Plötzlich schwärmten Wachen aus, die den Hauptflur freimachten und die Nebenflure sicherten, dann schwebte Gladstone in Begleitung eines ganzen Schwarms von Ratgebern, Attachés und Führern des Militärs vorbei. Zu meiner Überraschung sah sie mich, brachte ihr Gefolge linkisch zum Stillstand und sprach mich durch die Barrikade der Marines in Kampfanzügen hinweg an.
»Wie hat Ihnen die Rede gefallen, M. Niemand?«
»Prima«, sagte ich. »Rührend. Und von Winston Churchill gestohlen, wenn ich mich nicht irre.«
Gladstone lächelte und zuckte mit den Achseln. »Wenn man schon stiehlt, sollte man von den vergessenen Meistern stehlen.« Das Lächeln verschwand. »Gibt es Neuigkeiten von der Front?«
»Die Lage wird mir erst allmählich bewusst«, sagte ich. »Rechnen Sie mit Panik.«
»Immer«, sagte die Präsidentin. »Welche Neuigkeiten haben Sie von den Pilgern?«
Ich war überrascht. »Den Pilgern? Ich habe nicht … geträumt.«
Die Strömung von Gladstones Gefolgschaft und den bevorstehenden Ereignissen zog sie langsam weiter den Flur hinab. »Vielleicht müssen Sie gar nicht mehr schlafen, um zu träumen« , rief sie. »Versuchen Sie es.«
Ich sah ihr nach, suchte meine Suite, fand die Tür – und wandte mich voll
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