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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Klippenrand dreihundert Meter über uns sehen und erkennen konnte, dass die Wolken sich verzogen hatten, die Sterne leuchteten und das nächtliche Ballett der Meteorspuren vor einem finsteren Himmel strahlte. Dann senkte ich den Kopf wieder, rezitierte flüsternd den Rosenkranz und folgte der Fackel und den Bikura in die trügerischen Tiefen.
    Ich konnte nicht glauben, dass uns die Treppe bis zum Grund der Kluft hinabführen würde, aber so war es. Als mir irgendwann nach Mitternacht klar wurde, dass wir bis ganz nach unten zur Ebene des Flusses gehen würden, schätzte ich, wir würden bis Mittag des nächsten Tages brauchen, aber es dauerte nicht so lange.

    Wir erreichten den Grund der Kluft kurz vor Sonnenaufgang. Die Sterne leuchteten noch in der Öffnung des Himmels zwischen den Klippenwänden, die auf beiden Seiten eine unmögliche Strecke emporstiegen. Ich war erschöpft und stolperte Stufe für Stufe nach unten, bis mir langsam klar wurde, dass da gar keine Stufen mehr waren. Dann sah ich auf und fragte mich dümmlich, ob die Sterne hier unten bei Tageslicht sichtbar bleiben würden – so wie in dem Brunnen, in den ich einmal als Kind in Villefranche-sur-Saône hinabgestiegen war.
    »Hier«, sagte Beta. Es war das erste Wort, das seit vielen Stunden gesprochen wurde und über das Rauschen des Flusses hinweg kaum zu hören. Die Fünf Dutzend und Zehn blieben stehen, wo sie waren, und verharrten reglos. Ich brach zusammen, sank auf die Knie und kippte zur Seite. Es war unmöglich, dass ich die Treppe wieder hinaufsteigen konnte, die wir gerade heruntergekommen waren. Nicht an einem Tag. Nicht in einer Woche. Vielleicht niemals. Ich machte die Augen zu, um zu schlafen, aber der Treibstoff nervöser Spannung brannte weiter in mir. Ich sah über den Grund der Schlucht. Der Fluss war hier breiter, als ich erwartet hatte, mindestens siebzig Meter, und sein Rauschen ging über bloßen Lärm hinaus – mir war zumute, als würde ich vom Brüllen der großen Bestie verzehrt werden.
    Ich setzte mich auf und betrachtete einen dunklen Fleck an der gegenüberliegenden Klippenwand. Ein Schatten, dunkler als die Schatten, regelmäßiger als das Flickwerk von Pfeilern und Spalten und Säulen, das das Antlitz der Klippe fleckig machte. Es war ein perfektes dunkles Quadrat mit einer Seitenlänge von mindestens dreißig Metern. Eine Tür oder ein Loch in der Klippe. Ich mühte mich auf die Beine und sah an der Wand entlang, an der wir gerade herabgestiegen waren. Ja, er war da. Der andere Eingang, auf den Beta und
die anderen zugingen, war im Sternenlicht schwach auszumachen.
    Ich hatte den Eingang zu Hyperions Labyrinth gefunden.
    »Haben Sie gewusst, dass Hyperion eine der neun Labyrinthwelten ist?«, hatte mich jemand auf dem Landungsboot gefragt. Ja, es war der junge Priester namens Hoyt. Ich hatte ja gesagt und nicht weiter über diese Tatsache nachgedacht. Mich interessierten die Bikura – und am meisten der selbst zugefügte Schmerz meiner Verbannung –, nicht die Labyrinthe oder ihre Erbauer.
    Neun Welten besitzen ein Labyrinth. Neun von hundertsechsundsiebzig Netzwelten und weiteren rund zweihundert Kolonialwelten und Protektoratsplaneten. Neun Welten von achttausend oder mehr Welten, die – wie oberflächlich auch immer – seit der Hegira untersucht worden sind.
    Es gibt planetarische Archäohistoriker, die ihr Leben dem Studium der Labyrinthe gewidmet haben. Ich nicht. Ich habe sie immer für ein steriles Thema gehalten, vage unwirklich. Jetzt aber ging ich mit den Fünf Dutzend und Zehn auf eines zu, während der Fluss Kans brüllte und vibrierte und unsere Fackeln mit seiner Gischt auszulöschen drohte.
    Die Labyrinthe wurden vor mehr als einer Dreiviertelmillion Standardjahren gegraben, gebohrt, geschaffen. Die Einzelheiten waren unweigerlich dieselben, ihr Ursprung unweigerlich ungeklärt.
    Labyrinthwelten sind immer erdähnlich, mindestens bis 7.9 auf der Solmev-Skala, umkreisen stets einen Stern vom Typ G, sind aber stets auf Welten beschränkt, die tektonisch tot sind, dem Mars ähnlicher als der Alten Erde. Die Tunnel selbst sind tief angelegt – normalerweise mindestens zehn Kilometer, nicht selten bis zu dreißig – und durchziehen die Planetenrinde wie Katakomben; auf Swoboda, nicht weit von Pacems System entfernt, wurden über achthunderttausend Kilometer
Labyrinth von ferngesteuerten Sonden erforscht. Die Tunnels auf jeder Welt messen dreißig Meter im Quadrat und sind mittels einer

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