Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
mich selbst. Schließlich ließ ich die Spekulationen sein und machte die Augen zu, um zu beten.

    Als ich aus der Höhle kam, die Kruziform kühl unter dem Gewand auf meiner Brust, waren die Fünf Dutzend und Zehn eindeutig bereit, den drei Kilometer hohen Aufstieg die Treppe empor zu beginnen. Ich blickte auf und sah einen fahlen Streifen Morgenhimmel zwischen den Wänden der Kluft.
    »Nein!«, rief ich, und meine Stimme war im Rauschen des Flusses fast nicht zu hören. »Ich muss ausruhen. Ausruhen!« Ich sank im Sand auf die Knie, aber ein halbes Dutzend Bikura zog mich behutsam auf die Füße und zur Treppe.
    Ich habe es versucht, der Herr weiß, dass ich es versucht habe, doch nach zwei oder drei Stunden Aufstieg spürte ich, wie meine Beine unter mir nachgaben. Ich stürzte, rutschte über den glatten Fels und konnte meinen sechshundert Meter tiefen Sturz zum Fluss und den Felsen hinab nicht verhindern. Ich weiß noch, dass ich die Kruziform unter dem dicken Gewand umklammerte – dann hielt mich ein halbes Dutzend Hände fest, hob mich hoch, trug mich.
    Dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.
    Bis heute Morgen. Ich erwachte, als der Sonnenaufgang Licht durch die Öffnung meiner Hütte goss. Ich trug nur die Robe, doch ein Griff bestätigte mir, dass die Kruziform immer noch an der fasrigen Schnur um meinen Hals hing. Die Sonne stieg vor meinen Augen über den Wald, und da wurde mir klar, dass ich einen Tag verloren hatte, dass ich nicht nur den Aufstieg diese endlose Treppe hinauf ohne Bewusstsein verbracht hatte (wie konnten mich diese kleinwüchsigen Menschen zweieinhalb vertikale Kilometer weit tragen?), sondern den nächsten Tag und die Nacht auch noch.
    Ich sah mich in meiner Hütte um. Mein Komlog und die anderen Aufzeichnungsgeräte waren weg. Nur mein Medscanner und ein paar Kisten anthropologischer Software waren noch da – Software, die durch die Zerstörung meiner restlichen
Ausrüstung nutzlos geworden war. Ich schüttelte den Kopf und ging zum Bach, um mich zu waschen.
    Die Bikura schienen zu schlafen. Nachdem ich jetzt an ihrem Ritual teilgenommen hatte und »zur Kruziform gehörig« geworden war, hatten sie offenbar das Interesse an mir verloren. Während ich mich auszog, um zu baden, beschloss ich, keine Rücksicht mehr auf sie zu nehmen. Ich entschied mich, dass ich aufbrechen würde, sobald ich kräftig genug war. Falls erforderlich, würde ich einen Weg um die Flammenwälder herum finden. Ja, ich konnte die Treppe hinuntersteigen und dem Lauf des Kans folgen, wenn es sein musste. Ich war mehr denn je überzeugt, dass die Kunde von diesen wundersamen Artefakten zur Außenwelt gebracht werden musste.
    Ich zog das schwere Gewand aus, stand blass und zitternd im Morgenlicht und wollte die kleine Kruziform von der Brust heben.
    Sie ging nicht ab.
    Sie lag da, als wäre sie Teil meines Fleisches. Ich zog, kratzte und zerrte an der Schnur, bis sie riss und abfiel. Ich krallte meine Finger in den kreuzförmigen Klumpen auf meiner Brust. Er ging nicht ab. Es war, als wäre meine Haut mit den Rändern der Kruziform verwachsen. Abgesehen von den Kratzwunden meiner Fingernägel, spürte ich keine Schmerzen oder Empfindungen in der Kruziform selbst oder dem umliegenden Fleisch, nur schieres Entsetzen in der Seele beim Gedanken, dass dieses Ding mit mir verwachsen war. Nachdem sich der erste Anfall von Panik gelegt hatte, setzte ich mich für eine Minute hin, dann zog ich hastig das Gewand an und rannte ins Dorf zurück.
    Mein Messer war fort, der Strahler, Scheren, Rasierklinge – alles, was mir hätte helfen können, das Gewächs auf meinen Rippen herauszuschneiden. Dann fiel mir der Medscanner ein. Ich strich den Transceiver über die Brust, las den Diskeymonitor,
schüttelte ungläubig den Kopf und nahm dann ein Ganzkörperscanning vor. Nach einer Weile bat ich um Ausdrucke der Ergebnisse und saß sehr lange Zeit reglos da.
    Jetzt sitze ich hier und halte die Bildsonden. Die Kruziform ist auf den sonischen und den k-cross-Bildern eindeutig zu erkennen  – ebenso die inneren Fasern, die sich wie dünne Tentakel, wie Wurzeln, durch meinen ganzen Körper ausbreiten.
    Eine Vielzahl Ganglien erstreckt sich von einer Verdickung über dem Brustbein zu Fasern überall hin – ein Alptraum von Nematoden. Soweit ich das mit meinem einfachen Feldscanner feststellen kann, enden die Nematoden in den Mandeln und anderen basalen Ganglien in jeder Schädelhälfte. Meine Temperatur, Stoffwechsel und

Weitere Kostenlose Bücher