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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Technologie angelegt, die der Hegemonie noch nicht zur Verfügung steht. Ich habe einmal in einer archäologischen Fachzeitschrift gelesen, dass Kemp-Höltzer und Weinstein einen »Fusionstunnelbohrer« postuliert haben, mit dem man die perfekt glatten Wände und fehlenden Säume erklären könnte, aber ihre Theorie hat nicht erklärt, woher die Erbauer und ihre Maschinen gekommen sind oder warum sie Jahrhunderte für eine offenbar sinnlose bauliche Arbeit aufgewendet haben. Jede Labyrinthwelt – einschließlich Hyperion – ist untersucht und erforscht worden. Nichts wurde je gefunden. Keine Spuren von Ausschachtungsmaschinen, keine verrosteten Bergarbeiterhelme, nicht ein einziges Stück zertrümmertes Plastik oder verfaultes Packpapier; die Forscher haben nicht einmal Eingangs- und Ausgangsschächte identifizieren können. Keine Spur von Schwermetallen oder seltenen Erden war ausreichend, die monumentale Anstrengung zu erklären. Keine Legenden oder Artefakte der Labyrintherbauer sind erhalten geblieben. Das Geheimnis hatte mich im Laufe der Jahre am Rand interessiert, aber nie persönlich betroffen. Bis jetzt.
    Wir betraten den Tunneleingang. Dieser war kein perfektes Quadrat mehr; Erosion und Schwerkraft hatten aus dem makellosen Tunnel bis etwa hundert Meter in die Klippenwand hinein eine rohe Höhle gemacht. Beta blieb an der Stelle stehen, wo der Tunnelboden wieder glatt wurde, und löschte seine Fackel. Die anderen Bikura folgten seinem Beispiel.
    Es war sehr dunkel. Der Tunnel machte eine Biegung, die jegliches Sternenlicht abhielt, das bis hier hinunter hätte dringen können. Ich war schon in Höhlen gewesen. Ich rechnete nicht damit, dass sich meine Augen an die fast völlige Dunkelheit anpassen würden, nachdem die Fackeln gelöscht waren. Aber sie passten sich an.

    Innerhalb von dreißig Sekunden nahm ich einen rosigen Schimmer wahr, anfangs schwach, doch dann immer leuchtender, bis die Höhle heller war als die Schlucht draußen, heller als Pacem im Schein seiner drei Monde. Das Licht entsprang hundert Quellen – tausend Quellen. Es gelang mir, die Natur dieser Lichtquellen auszumachen, als die Bikura einer nach dem anderen auf die Knie sanken.
    Wände und Decke der Höhle waren mit Kreuzen übersät, deren Größe von wenigen Millimetern bis zu fast einem Meter reichte und die allesamt rosa leuchteten. Dieses Leuchten, das im Schein der Fackeln unsichtbar war, überflutete den Tunnel jetzt mit Licht. Ich näherte mich einem Kreuz, das in meiner Nähe in die Wand eingebettet war. Es maß etwa dreißig Zentimeter und pulsierte mit einem sanften organischen Schein. Dies war nichts, das aus dem Stein gemeißelt oder an der Wand befestigt worden war; es war eindeutig organisch, eindeutig lebend, und ähnelte weicher Koralle. Es fühlte sich warm unter der Berührung an.
    Das leiseste Flüstern eines Geräuschs erklang – nein, kein Geräusch, möglicherweise eine Störung in der kühlen Luft –, und ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, dass ich sehen konnte, wie etwas die Kammer betrat.
    Die Bikura knieten immer noch, duckten die Köpfe und hielten die Augen gesenkt. Ich blieb stehen. Ich wandte keinen Blick von dem Ding ab, das sich zwischen den knienden Bikura hindurchbewegte.
    Es war ungefähr wie ein Mensch geformt, aber auf gar keinen Fall menschlich. Es war mindestens drei Meter hoch. Selbst wenn es reglos war, schien sich die silberne Oberfläche des Dings zu bewegen und zu wabern wie Quecksilber im Schwebezustand. Das rötliche Leuchten der in den Tunnel eingelassenen Kreuze wurde von scharfkantigen Oberflächen reflektiert und funkelte auf gekrümmten Metallblasen,
die von der Stirn des Dings abstanden, vier Handgelenken, seltsam angewinkelten Ellbogen, Knien, gepanzertem Rücken und Rumpf. Es schwebte zwischen den knienden Bikura, und als es die vier langen Arme ausstreckte, Hände gestreckt, Finger, die wie Chromskalpelle einrasteten, musste ich absurderweise an Seine Heiligkeit auf Pacem denken, der die Gläubigen segnete.
    Ich zweifelte nicht daran, dass ich das legendäre Shrike vor mir sah.
    In diesem Augenblick muss ich mich bewegt oder ein Geräusch erzeugt haben, denn große, rote Augen sahen in meine Richtung, und ich war wie hypnotisiert vom Tanz der facettenreichen Prismen darin: nicht nur reflektiertes Licht, sondern ein düsteres blutrotes Glühen, das im stachligen Schädel des Wesens zu brennen und in den schrecklichen Edelsteinen zu pulsieren schien, die sich

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