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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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runden Stein auf. Diesen warf er auf den See hinaus. Wellen breiteten sich aus. »Verdammt«, sagte John, »ich habe versucht, ihn hüpfen zu lassen.« Er sah Duré an. »Sie müssen die Krankenstation unverzüglich verlassen und nach Pacem zurückkehren. Haben Sie verstanden?«
    Duré blinzelte. Diese Bemerkung schien nicht zu dem Traum zu gehören. »Weshalb?«
    »Unwichtig«, sagte John. »Machen Sie es nur. Warten Sie auf nichts. Wenn Sie nicht unverzüglich aufbrechen, werden Sie später keine Möglichkeit mehr dazu haben.«
    Duré drehte sich verwirrt um, als könnte er zu seinem Krankenhausbett zurückkehren. Er betrachtete über die Schulter hinweg den hageren jungen Mann, der am Kiesufer stand. »Was ist mit Ihnen?«
    John hob einen zweiten Stein auf, warf ihn und schüttelte den Kopf, da dieser nur einmal hüpfte, ehe er unter der spiegelnden Oberfläche verschwand. »Ich bin hier vorerst glücklich« , sagte er mehr zu sich selbst als zu Duré. »Auf dieser Reise war ich wirklich glücklich.« Er schien sich aus seinem Nachdenken zu reißen, hob den Kopf und lächelte Duré an. »Los doch! Setzen Sie Ihren Arsch in Bewegung, Eure Heiligkeit!«
    Schockiert, amüsiert und erbost machte Duré den Mund auf, um zu antworten, und stellte fest, dass er im Bett in der Krankenanstalt des Regierungshauses lag. Die Ärzte hatten das Licht gedämpft, damit er schlafen konnte. Monitorsensoren hafteten an seiner Haut.
    Duré blieb noch eine Minute liegen und litt unter dem Juckreiz und Unbehagen, das die heilenden Verbrennungen dritten Grades verursachten, dachte über den Traum nach
und dass es nur ein Traum gewesen war, dass er noch ein paar Stunden schlafen konnte, bis Monsignore … Bischof Edouard und die anderen eintrafen, um ihn zurückzugeleiten. Duré schloss kurz die Augen und erinnerte sich an das männliche, aber sanfte Gesicht, die Mandelaugen, den archaischen Dialekt.
    Pater Paul Duré von der Gesellschaft Jesu richtete sich auf, quälte sich auf die Beine, stellte fest, dass seine Kleidung fort war und er nur den Krankenhauspyjama aus Papier trug, schlang ein Laken um sich und schlurfte barfuß davon, ehe die Ärzte auf die Meldesensoren reagieren konnten.
    Am anderen Ende des Flurs hatte er einen Farcaster nur für Ärzte gesehen. Wenn der ihn nicht nach Hause brachte, würde er eben einen anderen suchen.
     
    Leigh Hunt trug Keats’ Leichnam aus dem Schatten des Gebäudes ins Sonnenlicht der Piazza di Spagna und rechnete damit, dass das Shrike auf ihn warten würde. Stattdessen wartete ein Pferd. Hunt war kein Experte darin, Pferde zu erkennen, da die Gattung in seiner Zeit ausgestorben war, aber dies schien dasselbe zu sein, das sie nach Rom gebracht hatte. Bei der Identifizierung half, dass das Pferd vor denselben kleinen Karren gespannt war – Keats hatte ihn eine vettura genannt  –, in dem sie schon einmal gefahren waren.
    Hunt beförderte den Leichnam auf den Sitz der Droschke, faltete sorgfältig die Leintücher um ihn herum, berührte mit einer Hand noch das Leichentuch und ging nebenher, als der Karren sich langsam in Bewegung setzte. In seinen letzten Stunden hatte Keats darum gebeten, dass man ihn auf dem protestantischen Friedhof in der Nähe der Aurelischen Mauer und der Pyramide des Gaius Cestius begraben sollte. Hunt konnte sich vage daran erinnern, dass sie im Verlauf der bizarren Reise hierher die Aurelische Mauer passiert hatten, aber er
hätte sie nicht wiederfinden können, wenn sein Leben davon abhängig gewesen wäre – oder Keats’ Begräbnis. Das Pferd indessen schien den Weg ohnedies zu kennen.
    Hunt stapfte neben dem langsamen Gefährt dahin und bemerkte die wunderbare frühlingshafte Morgenluft und einen unterschwelligen Geruch wie von verfaulender Vegetation. Konnte es sein, dass Keats’ Leichnam schon in Verwesung übergegangen war? Hunt wusste wenig von den Einzelheiten des Todes; und er wollte auch nicht mehr erfahren. Er schlug dem Pferd auf die Flanke, damit es schneller ginge, aber das Tier blieb stehen, drehte sich langsam um, maß Hunt mit einem vorwurfsvollen Blick und setzte dann seine gemächliche Gangart fort.
    Es war mehr ein aus dem Augenwinkel wahrgenommenes Funkeln als irgendwelche Geräusche, das Hunt aufmerksam machte, aber als er sich rasch umdrehte, war das Shrike da – zehn oder fünfzehn Meter hinter ihm hatte es sich der Geschwindigkeit des Pferdes mit einer feierlichen, aber irgendwie komischen Gangart angepasst und hob bei jedem Schritt

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