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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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fest, dass er weder Hochstimmung noch Wut spürte – er erledigte seine Aufgabe. Sein Unterarm war aufgeschürft. Wieder flogen die Pfeile. Und wieder. Fünfzehn seines ersten Arsenals von vierundzwanzig Pfeilen waren aufgebraucht, als ein Aufschrei durch die englischen Linien ging und Kassad innehielt und mit gespanntem Bogen nach vorne sah.
    Die Franzosen stürmten.
    Ein Kavallerieangriff lag außerhalb von Kassads Erfahrung. Zwölfhundert gepanzerte Pferde zu sehen, die direkt auf ihn zugestürmt kamen, erzeugte innere Reaktionen, die er etwas nervenaufreibend fand. Der Ansturm dauerte weniger als vierzig Sekunden, aber Kassad stellte fest, diese Zeit reichte vollkommen aus, dass sein Mund trocken wurde, er Atemprobleme bekam und seine Hoden fast völlig in den Körper schrumpelten. Hätte der Rest von ihm ein geeignetes Versteck gefunden, hätte er ernsthaft in Erwägung gezogen, sich darin zu verkriechen.
    Aber so war er zu beschäftigt, um wegzulaufen.
    Seine Reihe Bogenschützen, die auf Befehl ihre Pfeile losschickte, konnte fünf volle Salven auf die angreifenden Reiter abschießen, schaffte eine weitere ungeordnete Salve und zog sich dann in Fünferschritten zurück.

    Pferde, stellte sich heraus, waren zu klug, sich freiwillig auf Pflöcken aufzuspießen – so sehr ihre Reiter sie auch dazu drängten –, aber die zweite und dritte Woge der Kavallerie hielt nicht so unvermittelt an wie die erste, und so fielen die Pferde in einem einzigen Augenblick des Wahnsinns um und schrien, Reiter stürzten ab und schrien, und Kassad sprang auf und schrie, stürmte auf jeden gestürzten Franzosen los, den er sehen konnte, schlug mit der Streitaxt auf die liegende Gestalt ein, wenn er konnte, und wenn das Getümmel so groß war, dass er die Streitaxt nicht schwingen konnte, stieß er das lange Messer durch die Lücken in den Rüstungen. Bald waren er, der grauhaarige Bogenschütze und ein junger Mann, der den Helm verloren hatte, zu einem wirkungsvollen Killerteam geworden: Sie näherten sich einem gestürzten Reiter von drei Seiten, Kassad schlug den fliehenden Mann mit der Streitaxt von den Füßen, dann stürzten sich alle drei mit den Klingen auf ihn.
    Nur ein Ritter kam wieder auf die Beine, hob sein Schwert und stellte sich ihnen entgegen. Der Franzose klappte das Visier hoch und rief eine vernehmliche Bitte nach einem ehrenhaften Zweikampf. Der alte Mann und der junge umkreisten ihn wie Wölfe. Kassad kam mit dem Bogen dazu und schoss dem Ritter aus zehn Schritt Entfernung einen Pfeil ins linke Auge.
    Die Schlacht ging in der tödlichen Manier einer komischen Oper weiter, die seit den ersten Duellen mit Steinen und Oberschenkelknochen auf der Alten Erde jedem Gefecht eigen war. Es gelang der französischen Kavallerie, zu wenden und sich zurückzuziehen, als gerade die erste Woge von zehntausend Fußsoldaten gegen das englische Zentrum stürmte. Das Durcheinander brach den Rhythmus des Kampfes, und als die Franzosen wieder die Initiative übernommen hatten, war es Heinrichs Bewaffneten gelungen, sie auf Lanzenlänge zu halten,
während Kassad und mehrere tausend Bogenschützen aus kürzester Entfernung Pfeilsalven in die massierte französische Infanterie zischen ließen.
    Damit war die Schlacht freilich nicht zu Ende. Ja, es war nicht einmal der entscheidende Augenblick. Als der Wendepunkt schließlich kam, ging er – wie alle derartigen Augenblicke – in Staub und Tumult von tausend individuellen Kämpfen unter, in denen Infanteriesoldaten einander auf Reichweite ihrer jeweiligen Waffen gegenüberstanden. Bis es drei Stunden später endgültig vorbei war, gab es kaum Variationen altbekannter Themen, wirkungslose Angriffe und Gegenangriffe und ein alles andere als ehrbarer Augenblick, als Heinrich befahl, die Gefangenen zu töten, statt sie zurückzulassen, als die Engländer mit einer neuen Bedrohung konfrontiert wurden. Aber die Geschichtsschreiber und Historiker sollten sich später darin einig sein, dass die Entscheidung irgendwann im Wirrwarr des ersten Angriffs der französischen Infanterie gefallen war. Die Franzosen starben zu Tausenden, die englische Herrschaft über diesen Teil des Kontinents würde noch eine Weile andauern. Der Tag der bewaffneten Männer in Rüstungen, des Ritters, der Verkörperung von Tapferkeit, war vorbei – ein paar tausend zerlumpte Bogenschützen, Bauern mit Langbogen, hatten ihn in den Sarg der Geschichte genagelt. Die allerletzte Beleidigung für die adligen

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