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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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aus, jetzt zu erzählen?«, fragte Sol Weintraub.
    Kassad ließ die Andeutung eines Lächelns erkennen. »Ich war überhaupt nicht dafür«, sagte er, »doch soll’s nun mal gescheh’n, was geschehen muss, am besten ist’s, es möge schnell gescheh’n!«
    »He!«, rief Martin Silenus. »Der Mann kennt seine Prä-Hegira-Dramatiker!«
    »Shakespeare?«, fragte Pater Hoyt.
    »Nein«, antwortete Silenus. »Lerner und der beschissene Lowe. Arschloch Neil Simon. Wichser Hamel Posten.«
    »Oberst«, sagte Sol Weintraub formell, »das Wetter ist schön, niemand von uns scheint in den nächsten Stunden etwas Dringendes zu erledigen zu haben, und daher würden wir uns sehr freuen, wenn Sie uns die Geschichte erzählen würden, was Sie zur letzten Pilgerfahrt zum Shrike nach Hyperion führt.«
    Kassad nickte. Der Tag wurde wärmer, der Segeltuchbaldachin flatterte, die Decks knirschten, und die Levitationsbarke Benares fuhr mit gleichbleibender Geschwindigkeit flussaufwärts zu den Bergen, den Mooren und dem Shrike.

    Die Geschichte des Soldaten: Die Liebenden im Krieg
    Während der Schlacht von Agincourt begegnete Fedmahn Kassad der Frau, die er den Rest seines Lebens suchen sollte.
    Es war ein nasser und kalter Morgen Ende Oktober A. D. 1415. Kassad war als Bogenschütze in die Armee Heinrichs V. von England aufgenommen worden. Die englische Streitmacht befand sich seit dem 14. August auf französischem Boden und war seit dem 8. Oktober vor den überlegenen französischen Truppen auf dem Rückzug. Heinrich hatte seine Ratgeber überzeugen können, dass die Armee die Franzosen bei einem Gewaltmarsch ins sichere Calais schlagen konnte. Das war nicht gelungen. Als der Morgen des 25. Oktober grau und regnerisch heraufzog, sahen sich siebentausend Engländer, überwiegend Bogenschützen, einer Streitmacht von achtundzwanzigtausend Franzosen gegenüber, die einen Kilometer jenseits des schlammigen Schlachtfelds standen.
    Kassad fror, war müde, fühlte sich elend und hatte Angst. Er und die anderen Soldaten hatten die vergangene Woche des Marsches von wenig mehr als wilden Beeren gelebt; fast jeder Mann an der Front litt inzwischen an Diarrhöe. Die Lufttemperatur lag um die zehn Grad Celsius, Kassad hatte die lange Nacht über versucht, auf dem feuchten Boden zu schlafen. Der unglaubliche Realismus des Erlebnisses beeindruckte ihn – das Historisch-Taktische Network der Militärakademie Olympus war gewöhnlichen Stimsims so überlegen, wie Holos normalen Fotografien überlegen waren –, doch die körperlichen Empfindungen waren so überzeugend, so wirklichkeitsnah , dass Kassad der Gedanke nicht behagte, er könnte verwundet werden. Man erzählte sich von Kadetten, die in den
Sims des MAO:HTN tödlich verwundet und tot aus ihren Immersions-Horten gezogen worden waren.
    Kassad und die anderen Bogenschützen an Heinrichs rechter Flanke hatten fast den ganzen Vormittag zu der gewaltigen französischen Streitmacht hinübergesehen, als Wimpel geschwenkt wurden, die Feldwebel des fünfzehnten Jahrhunderts losbrüllten und die Bogenschützen dem Befehl des Königs gehorchten und gegen den Feind marschierten. Die zerrissene englische Linie, die sich von Baumgrenze zu Baumgrenze etwa siebenhundert Meter quer über das Schlachtfeld erstreckte, bestand aus Gruppen von Bogenschützen wie Kassads Trupp und kleinere Gruppen bewaffneter Soldaten. Die Engländer verfügten nicht über eine formelle Kavallerie; die einzigen Pferde, die Kassad auf seiner Seite des Schlachtfelds sehen konnte, trugen Männer nahe der Befehlsgruppe des Königs dreihundert Meter zur Mitte hin oder drängten sich um die Stellung des Duke of York herum, der dichter bei Kassad und den anderen Bogenschützen an der rechten Flanke stand. Diese Kommandogruppen erinnerten Kassad an ein mobiles FORCE:Bodenstabs-HQ, nur dass anstelle des unausweichlichen Waldes von Kom-Antennen, die ihre Position verrieten, bunte Flaggen und Wimpel schlaff an Stäben hingen. Ein eindeutiges Artillerieziel, dachte Kassad, doch dann fiel ihm ein, dass diese spezielle militärische Nuance noch gar nicht existierte.
    Kassad stellte fest, dass die Franzosen eine Menge Pferde hatten. Er schätzte, dass sechs oder siebenhundert berittene Männer an jeder französischen Flanke formiert waren und eine langgezogene Reihe Kavallerie hinter der Kampflinie bereitstand. Kassad konnte Pferde nicht leiden. Er hatte natürlich Holos und Bilder gesehen, aber bis zu dieser Übung war er noch nie den

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