Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Pater Hoyt, »wenn man diesem Wesen Moneta glauben will, dann bewegen sich die Zeitgräber rückwärts in der Zeit?«
    »Ja«, sagte Kassad.
    »Ist das möglich?«
    »Ja«, antwortete Sol Weintraub.
    »Wenn das stimmt«, sagte Brawne Lamia, »dann haben Sie diese Moneta – oder wie immer sie wirklich heißen mag – in ihrer Vergangenheit und Ihrer Zukunft getroffen … Eine Begegnung, die erst noch erfolgen wird.«
    »Ja«, sagte Kassad.
    Martin Silenus ging zur Reling und spuckte in den Fluss. »Oberst, glauben Sie, die Hure war das Shrike?«
    »Ich weiß nicht.« Kassads Stimme war fast unhörbar.
    Silenus wandte sich an Sol Weintraub. »Sie sind der Gelehrte. Findet sich in der Mythografie des Shrike ein Hinweis darauf, dass es die Gestalt verändern kann?«
    »Nein«, sagte Weintraub. Er bereitete ein Milchfläschchen vor, um seine Tochter zu füttern. Das Baby gab leise Maunzer von sich und bewegte winzige Finger.

    »Oberst«, sagte Het Masteen, »das Kraftfeld … dieser Kampfanzug … haben Sie ihn nach Ihrer Begegnung mit den Ousters und dieser … Frau mitgebracht?«
    Kassad blickte den Tempelritter einen Moment lang an, dann schüttelte er den Kopf.
    Der Konsul sah in seinen Drink, aber plötzlich schnellte sein Kopf durch die Kraft eines Gedankens hoch. »Oberst, Sie haben gesagt, dass Sie eine Vision vom Todesbaum des Shrike gesehen haben, der Struktur, des Dings, womit es seine Opfer aufspießt.«
    Kassad verlagerte seinen Basiliskenblick vom Tempelritter zum Konsul. Er nickte langsam.
    »Und es befanden sich Leichen daran?«
    Ein weiteres Nicken.
    Der Konsul wischte sich Schweiß von der Oberlippe. »Wenn der Baum mit den Zeitgräbern rückwärts in der Zeit reist, dann stammen diese Opfer aus unserer Zukunft.«
    Kassad sagte nichts. Die anderen sahen den Konsul jetzt ebenfalls an, doch nur Weintraub schien zu begreifen, was die Bemerkung zu bedeuten hatte – und wie die nächste Frage des Konsuls lauten würde.
    Der Konsul widerstand dem Impuls, sich wieder Schweiß von der Oberlippe zu wischen. Seine Stimme war gelassen. »Haben Sie welche von uns daran gesehen?«
    Kassad sagte über eine Minute lang nichts. Plötzlich schienen das leise Plätschern des Flusses und das Ächzen der Schiffstakelage sehr laut zu sein. Schließlich holte Kassad tief Luft. »Ja.«
    Das Schweigen zog sich hin. Brawne Lamia unterbrach es. »Würden Sie uns verraten, wer es war?«
    »Nein.« Kassad stand auf und ging zur Treppe, die ein Deck tiefer führte.
    »Halt!«, rief Pater Hoyt.

    Kassad blieb an der Treppe stehen.
    »Würden Sie uns wenigstens zweierlei verraten?«
    »Was?«
    Pater Hoyt verzog vor Schmerzen das Gesicht. Sein hageres Gesicht wurde unter dem Schweißfilm blass. Er holte Luft und sagte: »Erstens, glauben Sie, das Shrike … diese Frau … wollen Sie irgendwie benützen, diesen schrecklichen interstellaren Krieg anzuzetteln, den Sie vorhergesehen haben?«
    »Ja«, sagte Kassad leise.
    »Zweitens, werden Sie uns sagen, worum Sie das Shrike … oder diese Moneta … bitten werden, wenn Sie sie während der Pilgerfahrt wiedersehen?«
    Kassad lächelte zum ersten Mal. Es war ein dünnes Lächeln, und sehr, sehr kalt. »Ich werde keine Bitte vorbringen«, sagte er. »Ich werde nichts von ihnen verlangen. Wenn ich sie dieses Mal treffe, werde ich sie töten.«
    Die anderen Pilger sagten nichts und sahen einander nicht an, als Kassad nach unten ging. Die Benares fuhr weiter nach Nordnordost, dem Nachmittag entgegen.

DRITTER TEIL
    Die Benares lief eine Stunde vor Sonnenuntergang in den Hafen von Naiad ein. Besatzung und Pilger drängten sich an der Reling und betrachteten die schwelenden Trümmer einer Stadt, die ehemals zwanzigtausend Menschen beherbergt hatte. Wenig war davon übrig. Das einst berühmte River Front Inn, das in den Tagen des Traurigen Königs Billy erbaut worden war, war bis auf die Grundmauern niedergebrannt; die verkohlten Docks, Landungsstege und abgeschirmten Balkone waren in die Untiefen des Hoolie gestürzt. Das Zeughaus war eine rußige Hülle. Der Flughafen am nördlichen Stadtrand war nur noch eine schwelende Ruine, der Anlegeturm ein rußgeschwärzter Holzkohlehaufen. Von dem kleinen Shrike-Tempel am Ufer war überhaupt nichts mehr zu sehen. Für die Pilger aber war am schlimmsten, dass die Naiad River Station zerstört worden war – das Aufhalfterungsdock war verbrannt und eingestürzt, die Mantagehege waren zum Fluss hin offen.
    »Gottverdammt!«, sagte Martin

Weitere Kostenlose Bücher