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Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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Muß etwas mit Hormonen und Pubertät zu tun gehabt haben, glaube ich. Ich habe mich in eine Klemme nach der anderen manövriert, und mein Vater hat mich immer mit einem einzigen Telefonanruf wieder herausgeholt. Er war Anwalt und ist an der Chicagoer Politik reich geworden. Aber das weißt du ja.«
    »Du redest nicht oft über ihn.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht. Dieses Mal – das, wovon ich jetzt rede, das war eine besonders üble Sache. Es war im Frühjahr vierundvierzig, und ich stand kurz vor dem High-School-Abschluß.«
    »Was für eine Sache war das?«
    »Ich bin betrunken gefahren; der Wagen war Schrott, aber es ist keiner verletzt worden. Natürlich nicht zu entschuldigen, aber mein Vater hat es zurechtgebogen, und eine Woche später sagte er, er hätte alles arrangiert, damit ich nach West Point käme. Ein Senator hatte mich auf die Liste gesetzt. Für mich klang das wie eine Gefängnisstrafe, und ich habe ihm gesagt, wenn ich denn schon aufs College müßte, dann lieber nach Slippery Rock als nach West Point. Damals dachte ich, Slippery Rock sei entweder in Arkansas oder Missouri.«
    »Es liegt in Pennsylvania«, sagte sie.
    »Ich weiß. Damals wußte ich es aber nicht. Mein Vater sagte okay, ich könnte auch rumhängen, bis man mich einzieht, und dann könnte ich auf jedes mir genehme verdammte College gehen, nach dem Krieg, mit GI-Stipendium – falls ich überlebe.«
    »Das war neunzehnhundertvierundvierzig?«
    Der General nickte. »Ich war siebzehn, fast achtzehn, und mit achtzehn mußte ich mich mustern lassen. Es war außerdem ungefähr einen Monat vor dem D-Day in Europa, und damals hat man alle warmen Kadaver, die man auftreiben konnte, eingezogen und für achtzehn Wochen in Ausbildungslager für Infanterie-Auffüllungstruppen gesteckt, dann sofort weiter nach Europa oder in den Pazifik. Von den Auffüllungseinheiten sind viele in den ersten paar Tagen an der Front gefallen oder verwundet worden. Ich hielt das für eine sehr unerquickliche Aussicht, meinte aber, West Point wäre auf seine Art fast genauso schlimm. Ich hatte nicht den Wunsch, Soldat zu werden, gleich welche Sorte.«
    »Nicht besonders patriotisch, was?«
    »Nicht ausreichend, um für mein Land zu sterben, wenn ich es vermeiden konnte. Ich halte das noch immer für eine vernünftige Einstellung. Manchmal ist das Sterben natürlich unvermeidlich.«
    »Und was hast du gemacht?«
    »Ich bin zu meinem Paten gegangen, Stadtrat in Chicago, der bei all diesen Telefonaten, die mein Vater meinetwegen getätigt hatte, am anderen Ende der Leitung gewesen war. Der Ratsherr hat mich in seinem Vorzimmer warten lassen, drei Stunden lang.«
    »Ich kann es ihm nicht verdenken.«
    »Ich auch nicht; ich muß unerträglich gewesen sein. Als er mich schließlich in seine erlauchte Gegenwart ließ, habe ich ihm gesagt, ich wollte weder nach West Point noch eingezogen werden, und ihn gefragt, ob er irgendwelche Vorschläge hätte. Er hat nur genickt und gesagt: ›Tja, Kiddo‹ – ich paraphrasiere jetzt natürlich –, ›tja, Kiddo, du hast drei Möglichkeiten: Du kannst zur Handelsmarine gehen oder nach West Point, oder du sagst deinem Musterungsausschuß, du bist schwul. Das hat mein Neffe getan, aber der kleine Pisser ist ja wirklich schwul.‹«
    »Also bist du nach West Point gegangen«, sagte sie.
    »Nein, ich bin zum Rekrutierer der Handelsmarine gegangen, im Hauptpostamt. Das war ein alter Seebär von zwei- oder dreiundvierzig; er hat gesagt, er würde mich gern aufnehmen, müßte mich aber insofern warnen, als gerade Jungs von der Handelsmarine direkt zur Infanterie eingezogen würden.«
    »Also ab nach West Point«, sagte sie.
    Er nickte. »Dort habe ich den Krieg ausgesessen und oft an meinen Paten gedacht, den Stadtrat, der mir vernünftige Ratschläge ohne patriotisches Gewäsch gegeben hatte. Ich fühlte mich irgendwie seltsam in seiner Schuld, was genau das war, was er wollte. Ich habe sogar daran als ein Beispiel dafür gedacht, wie Politik wirklich funktioniert, nicht nur in Chicago, sondern überall. Und natürlich stimmt es – vorausgesetzt, man ist der Sohn eines reichen Mannes.«
    »Dann weiter nach Korea«, sagte sie, »wo jemand es endlich geschafft hat, auf dich zu schießen, und jemand anderer dir ein DSC angehängt hat.«
    »Ja, aber inzwischen war ich geistig darauf vorbereitet – auf die Wunde, nicht auf den Orden.«
    »Ich habe mich oft gefragt, warum du dabeigeblieben bist«, sagte sie.
    »Weil ich inzwischen mein

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