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Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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dagewesen wäre«, sagte General Hudson.

36. Kapitel
    Zu viert nahmen sie ein spätes Essen zu sich, im Kudzu-Café auf der oberen 14th Street im Nordwesten Washingtons. Das Café bot, was manche soul food nennen und andere Südstaaten-Küche. Alles wurde wie zu Hause serviert, in großen Schüsseln und Schalen; es gab Brathuhn, Landschinken, Kartoffelpüree, Chicken Gravy, Redeye Gravy, Maisbrot, Rübstielchen, Gumbo (gebraten und gekocht), Tomatenscheiben, Erbsen und als Dessert wahlweise Pecan Pie oder Lemon Meringue Pie oder beides.
    Shawnee Viar aß wenig. Jessica Carver aß von fast allem ein bißchen, verzichtete auf »diesen Gumbo-Schleim«, wie sie sagte. Partain probierte beinahe alles, und Patrokis aß von allem Riesenmengen, besonders vom Brathuhn, lehnte sich dann auf seinem Stuhl zurück und verkündete: »O wie ich Sachen liebe, die in Speck gebraten sind.«
    Die Rechnung kam mit dem Kaffee. Partain bezahlte, legte zwanzig Prozent Trinkgeld dazu und trug die Gesamtsumme in sein Spesenheft ein. Shawnee Viar beobachtete ihn neugierig.
    »Geschäftskosten?« sagte sie.
    Er nickte.
    »Und ich sitz da und glaube, meine neuesten liebsten Freunde sind zusammengekommen, um zu feiern und des verblichenen Henry Viar zu gedenken, schlechter Gatte, noch schlechterer Vater, greiser Spion und gegen Ende seiner Karriere der gescheiterte Verschwinderlehrling.«
    »Der was?« sagte Jessica Carver.
    »In Mittelamerika«, sagte Shawnee, »in San Salvador, um genau zu sein, hat Hank eine Art Lehrzeit absolviert bei denen, die Leute verschwinden lassen. Er war aber nicht gut darin. ›Der Geist akzeptiert‹, hat er geschrieben, ›aber der Magen verweigert.‹«
    »Hat er das geschrieben oder gesagt?« fragte Partain.
    »Geschrieben. Fast bis ganz zuletzt hat er seine täglichen pensées in die alte Smith-Corona gehämmert und sie dann in rote Spiralhefte übertragen, mit einem Montblanc-Füller, den ihm irgendein Arsch geschenkt hat. Die Schwester vom Schah, glaube ich, als die Kurden fertiggemacht worden waren.«
    »Haben Sie das gelesen – diese Tagebücher?« sagte Partain.
    »Klar. Manchmal hab ich die zerknüllten getippten Blätter aus dem Papierkorb gelesen und manchmal die Notizbücher direkt. Alle zweiunddreißig. Eins für jedes Jahr.« Sie machte eine Pause, schaute noch immer Partain an; dann sagte sie: »Sie hatten eine Frau, glaub ich. Das heißt, ich weiß es, weil Hank immer von ihr als Señora Partain schrieb.«
    Partain glaubte zu spüren, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Dann wurde sein Gesicht heiß, und er fragte sich, ob die Farbe von Wachsweiß zu Rostrot übergegangen war. Als er sah, wie alle ihn anstarrten, holte er tief Luft, hielt sie an, stieß sie langsam aus, zeigte dann Shawnee Viar etwas, das er für ein scheußliches Lächeln hielt, und fragte: »Was sagt er sonst noch über sie?«
    »Ihre Frau?«
    »Ja.«
    »Wollen Sie den Wortlaut?« sagte sie. »Ich hab ein komisches Gedächtnis, das solche Sachen wörtlich behält – na ja, fast wörtlich. So hab ich ein Top-Examen an der Uni gemacht, und das hab ich jetzt davon.«
    »So wörtlich, wie Sie können«, sagte Partain; bei »können« bröckelte seine Stimme.
    »Okay«, sagte sie. »Über Ihre Frau hat mein alter Daddy ungefähr folgendes geschrieben, aber wie gesagt, es ist nicht hundertprozentig wörtlich.«
    Partainzwang sich zu nicken. Shawnee Viar schloß die Augen einen Moment, als ob sie die Wörter visualisieren wollte, öffnete sie dann wieder, starrte auf etwas, das ein paar Handbreit über Partains Kopf zu schweben schien, und begann zu rezitieren:
    »›Colonel H. und Captain M. kamen vorbei, um über die Frau von Major P. zu reden. Es scheint, daß unsere Gastgeber Druck auf sie ausüben, irgend etwas wegen der schönen Señora Partain zu unternehmen. Was, bitte? frage ich. Meine beiden Militärs schlagen vor, sie könnte verschwinden – zumindest einige Zeit. Wie lang ist einige Zeit? frage ich. Arrangier das einfach, Hank, sagt mein Colonel. Das will ich schriftlich, sage ich. Sie weigern sich, die Tapferen, und ich überlege, ob ich Major P. anrufen soll, aber das könnte mich selbst belasten, und außerdem ist nicht gesagt, daß wirklich etwas passiert. Immerhin, man müßte etwas unternehmen, und ich werde darüber nachdenken. Inzwischen sind drei Tage vergangen, und offenbar habe ich zu lange nachgedacht. Gestern ist Señora Partain hundert Meter von ihrem Haus entfernt verschwunden. Vielleicht sollte ich

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