Die im Dunkeln
baten ihn die Kollegen, die Präsidentschaft des ehrenwerten Verbands der Mystery Writers zu übernehmen; Ross Thomas akzeptierte unter der Bedingung, daß es nicht in Arbeit ausarte und er weiter in Malibu, Kalifornien, mit Blick aufs Meer hocken könne, gestört allenfalls durch gelegentliche Brandkatastrophen, Erdbeben und Anfragen aus Hollywood.
Für die ›New York Times‹ war er »Amerikas bester Erzähler«. Die Vorstellung, daß etwa unsere ›FAZ‹ jemanden, der nicht für Akademiker über Nabel und Gemüt von Halbintellektuellen, sondern für Leser über Vorgänge in der Realität schreibt, mit einem derartigen Titel belehnen könnte, ist derart abenteuerlich, daß ich nicht weiß, wie man diesen Satz anständig beenden kann. Unsere Großkritiker, halbintellektuelle Akademiker, lesen am liebsten nur über sich und die eigene In-Group; Texte müssen möglichst dunkel, sperrig und langweilig sein, um als bedeutendzu gelten; und es herrscht der Aberglaube, nicht Kunstfertigkeit, sondern bestimmte Inhalte entschieden über Rang und Gattungszugehörigkeit eines Werks.
Wie Somerset Maugham bemerkte, vergessen die Verfechter des »psychologischen« Romans in ihrer Geringschätzung von Handlungselementen, daß ohne wie auch immer geartete Handlung weder das Interesse des Lesers noch die Psychologie der Personen und ihre Entwicklung gelenkt, »organisiert« werden können. Eine ehrwürdige, zielstrebige Handlungslinie ist z. B. die Queste, sei es als Suche nach einem Objekt oder als Versuch einer Erklärung für wesentliche Vorgänge. Für die Vielfalt von Questen, die unter mystery zusammengefaßt werden, gibt es keine deutsche Entsprechung; was wir unter »Kriminalroman« verstehen, ist etwas anderes: ein spätbürgerliches Gesellschaftsspiel mit ästhetisierenden Regeln.
Die eigentliche Fiktion dabei ist der Überbau: Ein staatlich oder göttlich garantierter ordentlicher Kosmos, in den jählings durch Mord im Pfarrhaus oder Leiche in der Bibliothek partielles Chaos eindringt. Wenn Sherlock Holmes, Poirot oder Derrick das Verbrechen aufgeklärt haben, ist der Kosmos wieder heil. Die von S. S. Van Dine und anderen aufgestellten Regeln schlossen Psychologie, Liebe und andere schnöde Dinge wie die Realität ausdrücklich aus, nichts sollte von der Tüftelei des Mörders und der Denkakrobatik des Ermittlers ablenken.
Dieses Gesellschaftsspiel wird noch immer betrieben und ist bei uns der »eigentliche« Krimi; die anderen Varianten von my stery haben sich in Deutschland nie wirklich durchgesetzt – jene, die davon ausgehen, daß der Kosmos absurdes Chaos ist, die condition humaine einzige (unberechenbare) Konstante und das Ergebnis der Queste bestenfalls ein Teilerfolg im Kampf ums Überleben. Kaputte Familien, unsichere Stadtstraßen und alltägliche Gewalt lassen uns Heimweh nach den fiktiven Symmetriendes Tüftelmords und den possierlichen Formen des Hinscheidens empfinden. Heimweh nach einem Nimmerland, in dem es der Sinn des Verbrechens war, den Scharfsinn des Detektivs zu erweisen.
Stärker als bei uns (aber wir machen da Fortschritte) hat sich in den USA das Gemeinwohl längst in ein Gemeinweh verkehrt; auf der Alltagsebene existiert der Staat als System nicht mehr, wenn auch die für die Fassade zuständigen Teile des Apparats nach außen funktionieren mögen. Im Vietnamkrieg sind weniger Amerikaner gefallen, als jedes Jahr durch Gewalt sterben. Verbrechen ist kein Puzzle-Genre, sondern Realität, main stream . Die »hohe« akademische Literatur schaut seit Jahrzehnten weg; die Mystery-Autoren schauen genau hin.
Ross Thomas schrieb kühle, klare Gegenwartsromane. Sie sind nicht desillusioniert, sondern von Anfang an illusionslos. Die Annahme, irgend jemand auf verantwortlichem Posten sei möglicherweise nicht korrupt, ist in seinen Texten bestenfalls ein schlechter Witz. Es ist denkbar, daß ein Politiker eine moralisch einwandfreie Entscheidung trifft, aber nur, wenn und insofern sie ihm nützt. Wiederwahl, Akkumulation von Macht und Geld, Vernichtung von Gegnern sind Ziele, zu deren Erreichen jedes Mittel recht ist, notfalls sogar ein legales oder sauberes. Bisweilen kommt es zu Zweckbündnissen, die man nicht mit Loyalität o. ä. verwechseln sollte. Die Feststellung, daß sämtliche mit Selbsterhaltung befaßten Kollektive (Staaten, Parteien, Gewerkschaften etc.) nicht unmoralisch, sondern prinzipiell und zwangsläufig amoralisch sind, gibt diesen sarkastischen Politromanen ihre Kälte und
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