Die in der Hölle sind immer die anderen
ruhig.“
Nicolai lacht kurz.
„Sie tun es einfach so, nicht? Für Sie ist der Fall klar: Ich habe Ihren Jungen getötet, und nun töten Sie mich.“
„Und warum sollte ich das nicht tun?“
„Weil ich acht Jahre im Gefängnis war. Weil ich meine Strafe abgesessen habe. Weil ich therapiert bin. Wissen Sie, wie lange acht Jahre sind, wenn du in der Hackordnung ganz unten bist? Kindermörder rangieren in der JVA genauso wie in der Psychiatrie am Arsch der Pyramide.“
„Glaubst du, daß diese Jahre für mich kürzer und angenehmer waren als für dich?“
„Nein, aber ...“
„Dein Gewinsel macht Florian nicht wieder lebendig.“
„Und wenn Sie mich umbringen - wird er dann wieder lebendig?“
Weigandt schüttelt den Kopf. „Nein, das wird er nicht.“
Nicolai blickt ins Leere und stöhnt leise.
***
„Sie sind genau wie ich, wissen Sie das?“
Weigandt macht zwei Schritte auf Nicolai zu.
„Was bin ich? Ich bin wie du? Hast du das eben gesagt?“
Er sieht den anderen verblüfft an. „Nein, ich bin ganz anders. Mit Unmenschen wie dir muß ich mich nicht vergleich lassen.“
„Oh, doch. Sie und ich, wir sind nur zwei Seiten einer Medaille. Wenn Sie meine Eltern, meine Kindheit und meine Erziehung gehabt hätten, dann wären Sie genau wie ich geworden, dann hätten auch Sie Frauen vergewaltigt und Kinder umgebracht.“
Weigandt schüttelt energisch den Kopf.
„Nein, nein, das ist absolut nicht wahr. Meine Kindheit war auch nicht schön, es war kein Geld da, mein Alter hat rumgebrüllt, geprügelt, geohrfeigt, meine Mutter hat nie was dagegen getan, aber ich hab das hinter mir gelassen, ich bin da weg, ich hab was aus mir gemacht, ich habe studiert, einen tollen Beruf …“
Schweißüberströmt, mit blutverkrustetem Gesicht und aus verschwollenen Augen spuckt Nicolai Weigandt an.
„Hören Sie doch auf mit Ihrem tollen Beruf, der war doch gar nicht so toll. Ich sehe es doch an ihren Augen, daß Sie nichts glücklich macht. Ich sehe da drin denselben Haß, den ich auch habe, unerbittlich sind Ihre Augen und grausam. Sie sind ein Getriebener, genau wie ich, einer, der nie Ruhe und Frieden findet.“
„Ich hatte eine gute Ehe, ein schönes Haus …“
„Sie hatten keine gute Ehe. Lange bevor ich gekommen bin, war Ihre Ehe schon am Ende. Ich hab Sie im Gerichtssaal beobachtet, stocksteif saßen Sie da, nie haben Sie die Hand Ihrer Frau gehalten, haben sie nie umarmt. Und was für ein Lebensinhalt ist denn ein Haus, und wenn es noch so schön ist; am Schluß ist es doch nur ein Haus.“
Weigandt ist aufgestanden und geht mit großen Schritten durch den großen Raum.
„Ja, vielleicht hast du Recht. Meine Ehe war eine Enttäuschung, ich mag Ingrid schon lange nicht mehr, und das Haus, als es einmal weg war, das habe ich nicht vermißt. Aber ich hatte einen Sohn, einen wunderschönen Sohn, mein einziges Kind, und ich hätte gerne so viele gehabt, ein ganzes Haus voller Kinder wollte ich. Und du hast mir mein einziges Kind genommen.“
Nicolai sieht Weigandt mit stierem Blick an. Plötzlich füllen sich seine Augen mit Tränen. Er weint erst leise und schluchzt dann immer lauter.
„Ich habe das nicht gewollt, ich habe mir das tausendmal gesagt, ich wollte den Jungen nicht töten, das war ein Kurzschluß, ein Versehen, ein furchtbares Unglück, aber ein Unglück. Ich hatte keine Gewalt mehr über mein Verlangen, ich konnte mich selbst nicht verstehen, damals gab es kein Zurück von meinem Trieb, es mußte bis zum bitteren Ende gehen. Ich habe mich doch bei Ihnen und Ihrer Frau damals entschuldigt.“
Der Rest des Satzes geht in Schluchzen unter.
Weigandt verläßt den Raum, kommt mit einem Eimer Wasser zurück und leert ihn über Nicolais Kopf aus.
„So, Meister, bevor wir das Ganze hier zu Ende bringen, erzähle ich dir noch eine Geschichte: Es war einmal eine Frau, die arbeitete in einer schönen Villa, die in einem großen Garten stand. Jeden Abend gegen sechs kam sie aus dem großen, schmiedeeisernen Tor ihrer Villa heraus und ging zum Joggen, um sich fit und gesund zu halten. Viele Jahre ging das so. Bis an einem Abend, an dem der Mond nicht schien, ein Mann in der Dunkelheit auf sie wartete. Und als die Frau an diesem Abend zum Fluß hinunterlief, da verfolgte der Mann sie durch die Dunkelheit, überholte sie, drehte sich um, ging auf sie zu, und genau in dem Moment, da sie an ihm vorbeilaufen wollte, da stach er ihr ein Messer ins Herz.“
Nicolai laufen die Tränen wie Bäche
Weitere Kostenlose Bücher