Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
Vom Netzwerk:
man ein Blatt Papier fallen hören. Selbst die Kameraleute, die die Richter jetzt filmen und ihnen die Mikrofongalgen ins Gesicht halten, sprechen nur noch mit Flüsterstimme. Der Richter, ein weicher, aufgedunsener Mann mit einem unruhigen Blick und dicken Brillengläsern, öffnet umständlich einen Packen aus verschnürten Akten und beginnt dann zu lesen. Ich kann mich nicht konzentrieren und schaue so lange in die Oktobersonne hinaus, bis ich Totschlag höre, acht Jahre , Einweisung in die Psychiatrie , Therapie . Der Vorsitzende spricht ausdrücklich davon, daß Nicolai therapiert werden sollte, um dann wieder ein Leben in Freiheit und Gesundheit als nützliches Mitglied der Gemeinschaft zu führen. Der Vorsitzende hat noch nicht zu Ende gesprochen, da geht ein Lächeln über das Gesicht der Zitzelsberger, so, als wenn an einem grauverhangenen Tag die Sonne plötzlich zwischen den Wolken hervorbricht und ihre Strahlen in gleißenden Bündeln Flecke auf der Erde erhellen, die wie Inseln im dunklen Meer zu leuchten beginnen.
    Michael und ich bleiben sitzen, bis der Saal leer ist, die letzten Kamerateams eingepackt haben und die Polizisten und Gerichtsdiener weg sind. Ich sehe einen der Schöffen durch die Tür in der holzgetäfelten Wand verschwinden, dann sind wir allein. Dr. Hartwig nimmt mich in den Arm und sagt: Er hat mehr bekommen, als der Staatsanwalt gefordert hat, immerhin das . Unten auf dem Parkplatz sehe ich die Autos der anderen, eines nach dem anderen, in ihr normales Leben zurückfahren. Und da will ich eine Stange aus Eisen nehmen, so schwer, daß ich sie gerade noch heben kann, und ihnen hinterherlaufen, ihnen die Scheiben einschlagen, sie einzeln aus den Autos herausholen und ihnen dann mit der Stange, systematisch und ruhig, einem nach dem anderen den Schädel einschlagen.

Kapitel 19          
    Weigandt sieht auf die Uhr. Es ist kurz nach drei Uhr morgens. In dreieinhalb Stunden wird es hell werden. Nicolai liegt in einer Lache braunen Blutes auf dem Estrich und stinkt. Er hat sich noch im Todeskampf angeschissen. Weigandt steigt über die Leiche und geht hinauf ins Erdgeschoß. Im Wohnzimmer öffnet er die Tür zum Garten und tritt auf die Terrasse hinaus. Der kleine, quadratische Garten ist knöcheltief mit frischem, weichem Schnee bedeckt. Der Schneefall hat aufgehört, und die Luft ist wärmer geworden. Ein weicher Ostwind bläst die Schneehauben von den verkrüppelten Koniferen am Zaun und reißt hoch droben Löcher in die Wolkendecke. An einzelnen Stellen sind die verblassenden Sterne zu sehen. Es taut mit Macht. In den Regenrinnen rauscht das Wasser, das vom Balkon heruntertropft und von den Thujen rieselt. Die Luft riecht nach Teer und schmelzendem Schnee. Die Fackel des Crackers im ehemaligen Hydrierwerk taucht den Horizont minutenlang in ein gleißendes Orange und verlischt dann wieder.
    Weigandt geht zurück in das Wohnzimmer und setzt sich auf Nicolais Sofa. Er fühlt sich erschlagen und leer. Er hat noch viel zu tun, bevor er nach Hause fahren kann, und trotzdem bleibt er lange auf der Couch sitzen. Er muß schlafen, nur eine Stunde, vielleicht zwei, aber ohne Schlaf kann er seine Tat nicht zu Ende bringen. In dem Zustand, in dem er sich jetzt befindet, könnte er sich genausogut gleich der Polizei stellen. Er holt einen flachen Reisewecker aus der Sporttasche, vergleicht die Zeit mit seiner Armbanduhr, stellt die Weckzeit ein und streckt sich dann auf der Couch aus.
    Als der Wecker nach zwei Stunden klingelt, ist er sofort hellwach. Er hat den Eindruck, als hätte er keine zehn Minuten geschlafen. Er sieht sich im Wohnzimmer um. Leere Flaschen, zerbrochenes Mobiliar, Glassplitter, Essensreste, Zigarettenkippen und entwurzelte Topflanzen liegen über den ganzen Raum verstreut. Teppich und Parkett sind voller Blutflecke.
    Weigandt geht in den Keller hinunter. Er will Nicolai mit einem Rettungsgriff über die Treppenstufen nach oben schleifen, aber er scheitert schon an der zweiten Stufe. Die Leiche ist viel schwerer, als er gedacht hat. Er zieht den Leichnam wieder auf die Kellerfliesen hinunter, hält sich am Treppengeländer fest und verschnauft einige Minuten lang. Dann geht er in die Knie, packt den leblosen Körper an den Hüften und schiebt ihn sich auf die Schultern hinauf. Er schwankt einen Augenblick, als er aus der Hocke aufsteht, dann zieht er sich tief gebückt am Treppengeländer nach oben. Schritt für Schritt steigt er keuchend die Treppe hinauf. Als er auf dem

Weitere Kostenlose Bücher