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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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daß ein Siegel absplitterte, und in ihrem Gesicht war ein Ausdruck, als hätte sie den Brief am liebsten ins Feuer geworfen. Und eine Ahnung preßte ihr das Herz zusammen, daß sich mit dem Eintreffen dieses Schreibens vieles ändern würde...
    Pünktlich um halb eins versammelte sich die Familie um den Tisch. Wilhelm Ströndle kam in übler Laune heim. Im Geschäft hatte es einen schweren Zusammenstoß mit dem Chef gegeben, und auf dem Heimweg war er Charlotte und Helmuth Krönlein begegnet. Und es war ihm nicht entgangen, daß der junge Mann den Arm von Charlotte zärtlich an sich gedrückt hatte.
    „Was hat er bloß?“ flüsterte Martha Charlotte zu, als er für einen Augenblick verschwand, um sich die Hände zu waschen.
    „Er hat mich mit Helmuth gesehen...“
    „Müßt ihr auch ausgerechnet vor der Haustür Spazierengehen?“
    „Ach was!“ gab Charlotte heftig zurück, „er wird sich an Helmuths Anblick gewöhnen müssen!“
    „Pst! Treib es nicht auf die Spitze!“
    „Ich bin kein Kind mehr!“
    „Leider...“, murmelte Martha; sie schloß für einen Augenblick die Lider und senkte den Kopf, es sah aus, als würde ihr eine allzu schwere Last aufgebürdet. Charlotte streichelte mit den Fingerspitzen ihre Hand: „Es ist schon gut, Mama, — ich werde den Mund halten, auch wenn es mir schwerfällt.“
    Der Tisch war bereits gedeckt, und Martha beeilte sich, jede Verzögerung zu vermeiden. Als Wilhelm Ströndle in die Küche zurückkam, schob sie ihm den Stuhl so geschickt in die Kniekehlen, daß er sich setzen mußte, und häufte ihm den Teller voll. Spaghetti gehörten nicht zu seinen Leibgerichten, aber er wickelte die Nudeln mit grimmiger Entschlossenheit um seine Gabel, schon um den Kindern zu zeigen, daß man auch Gerichte, die man nicht besonders gern mochte, genauso wie andere essen mußte. Es war eine äußerst ungemütliche Tafelrunde. Aber in dem Moment, in dem Wilhelm Ströndle die letzten Spaghetti mit dem Soßenrest aus seinem Teller fischte und Charlotte einen unheilverkündenden Blick zuwarf, trat Martha in Aktion.
    „Übrigens ist da ein Einschreibebrief aus England gekommen“, sagte sie heiter und harmlos, als fiele ihr diese Nebensächlichkeit gerade eben ein.
    „Was?“ fuhr er auf, und auch Werner und Charlotte hoben überrascht die Gesichter.
    Christa sprang empor und rannte zum Büfett, sie riß die Schublade auf und schwenkte den Brief.
    „Vor einer Stunde ist er angekommen!“ rief sie schrill.
    „Und das sagt ihr erst jetzt? Was steht drin? Was, was?“
    „Ich habe ihn nicht geöffnet, er ist ja an dich gerichtet.“
    Er entriß Christa den Brief. „Zwei Siegel...!“ sagte er fast ehrfürchtig; er war blaß geworden, und alle konnten sehen, daß seine Finger zitterten.
    „Mein Gott, so mach ihn doch endlich auf!“ rief Werner vor Spannung fiebernd.
    Wilhelm Ströndle zog sein Taschenmesser hervor, er brauchte lange, bis er die Kerbe in der Klinge fand.
    „Räum den Tisch ab, Christi!“ befahl Martha.
    Niemand hörte auf sie, alle Augen hingen wie gebannt an der kleinen blanken Klinge, die mit einem kratzenden Geräusch das dicke, gelbe Papier des Umschlags durchsägte. Der Inhalt des Kuverts bestand aus den Abschriften der Dokumente, die er vor zwei Monaten eingesandt hatte, und aus zwei wappenbedruckten Bogen, die in englischer und deutscher Sprache den Begleittext enthielten.
    „Nun mach schon!“ drängte Werner, und „Vorlesen! Vorlesen!“ flüsterten auch Charlotte und Christa mit vor Aufregung heiseren Stimmen. Martha räumte das Geschirr zusammen. Sie beobachtete ihre Familie mit geheimer Sorge.
    Wilhelm Ströndle wischte über seine Brillengläser, und seine Augen wanderten mit nervöser Eile diagonal über die erste Seite des maschinengeschriebenen deutschen Textes...
    „Im Aufträge der Regierung Ihrer Majestät…“, begann er. „Im Aufträge Sr. Lordschaft des Schatzkanzlers der Regierung Ihrer Majestät habe ich die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß das Schatzkanzleramt Ihr Schreiben erhalten hat und nach Prüfung der von Ihnen beigefügten Unterlagen zu der Überzeugung gekommen ist, daß Sie ein direkter Nachkomme des am 11.5.1822 zu Heilbronn geborenen Johannes Chrysostomus Ströndle sind. Die Regierung Ihrer Majestät wird Ihre Angaben zu gegebener Zeit durch einen Sonderbeauftragten an Ort und Stelle sorgfältig prüfen lassen. Nach den hier vorliegenden Dokumenten und Hinterlassenschaftspapieren, unter denen sich auch tagebuchartige

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