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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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er wie ein Pulverfaß explodierte. Er bekam schon nervöse Gesichtszuckungen, wenn in den politischen Nachrichten des Rundfunks einmal Indien erwähnt wurde. Seine Reizbarkeit wurde allmählich unerträglich. Und als es dann noch zum dritten Krach kam, dessen Opfer Martha wurde, da war es mit der Gemütlichkeit im Hause endgültig vorbei. Anlaß des Krachs wurde ein Angebot, das Martha von ihrer Firma bekommen hatte. Sie sollte ihren alten Posten wenigstens halbtags für die Nachmittage wieder übernehmen. Und Martha hatte in der Hoffnung, ihren Wilhelm von den Vorteilen dieses Angebots überzeugen zu können, schon halb und halb zugesagt. Es kam zu einer bösen Szene, in der sich die beiden allerlei an den Kopf warfen, er ihr, daß sie nicht zu wirtschaften verstände, wenn sie mit seinem Gehalt nicht auskäme, und sie ihm, daß er nicht bei Trost sei, wenn er sich einbilde, sie könne zaubern. Der Krach endete mit einem faulen Waffenstillstand. Wilhelm Ströndle schwor, er werde es nie zulassen, daß Martha sich in zwei Hälften zerreiße, und sie beteuerte grimmig, daß sie ihren Willen letzten Endes doch durchsetzen werde.
    Das ging eine Weile so hin und her, sie rieben sich aneinander, aber die Zustände wurden doch etwas erträglicher, weil die Nachbarn und Bekannten den Zeitungsaufruf allmählich vergaßen und Wilhelm Ströndle nur noch gelegentlich mit der Erbschaft aufzogen. Und nach zwei Monaten, als außer den Ströndles selber kein Mensch mehr an die Sache dachte, da geschah es. Nur Martha und Christi waren daheim, als der Briefträger läutete und Martha ein dickes gelbes Kuvert mit zwei roten Siegeln und einer Reihe fremder Marken überreichte. Und die Marken trugen das Bild der englischen Königin. Martha preßte den Kontrollschein gegen den Türrahmen und malte mit dem Tintenstift, den ihr der Postbote lieh, mit zitternder Hand ihre Unterschrift. Der Brief war an Wilhelm Ströndle Esqu. adressiert und kam — das konnte Martha auch ohne englische Sprachkenntnisse feststellen
    - vom Sekretariat des Lordschatzkanzlers Ihrer Majestät, der Königin von England. Das Herz schlug ihr bis zum Halse hinauf.
    „Was gibt’s?“ rief Christa. Sie war gerade dabei, feingeschnittene Zwiebeln für die Tomatensoße zu den Spaghetti in der Pfanne zu bräunen.
    Martha legte den Brief vorsichtig auf den Küchentisch. Sie war sehr blaß und ihre Stimme klang belegt: „Die Antwort aus England...“
    „Nein!“ schrie Christa auf, aber sie hatte genug Hausfraueninstinkt, um zuerst die Gasflamme kleinzustellen, ehe sie zum Tisch stürzte und den feierlich versiegelten Umschlag an sich riß. „Wahrhaftig!“ keuchte sie atemlos, „aus England! Vom Lordschatzkanzler! Mein Gott...“
    Sie griff nach dem kleinen, spitzen Küchenmesser, das sich zum Aufschlitzen des Briefes hervorragend geeignet hätte.
    „Daß du mir die Finger davon läßt!“ rief die Mutter und zog ihr den Brief aus den Händen, „der Brief ist an Papa gerichtet und nicht an dich!“
    „Wir werden doch nicht bis halb eins warten!“ rief sie empört.
    „Natürlich werden wir warten!“ Martha legte den Brief auf den grünen Linoleumbelag des Küchenbüfetts.
    „Paß lieber auf, daß die Zwiebeln nicht anbrennen...“
    „Was wohl drinstehen mag?“ seufzte Christa auf, „ich bin ja so wahnsinnig gespannt!“
    Martha bekämpfte die Schwäche, die sie selber in den Beinen spürte. Sie warf einen Blick auf die Uhr; es war halb zwölf und es wurde Zeit, das Wasser für die Spaghetti aufs Feuer zu setzen. „Hast du das Tomatenmark schon eingerührt?“
    „Nein — noch nicht...“
    „Los, los, es wird Zeit, und streck die Soße tüchtig!“
    „Ich kann nicht...“, murmelte Christa abgeschnürt. „Was kannst du nicht?“
    „Die Soße machen... Ich bin so aufgeregt...“ Es kam heraus, als würde sie im nächsten Moment in Tränen ausbrechen. Martha warf ihrer jüngsten Tochter einen langen, prüfenden Blick zu.
    „Hör einmal, mein Herzchen“, sagte sie sehr ernst, „ich lasse mir von diesem Brief nicht die ganze Familie verrückt machen. Es langt mir, was ich bei dir sehe. — Ich verwahre den Brief jetzt, und du hältst den Mund, bis alle gegessen haben, verstanden? Oder bildest du dir etwa ein, ich koche hier, damit mir nachher das ganze Essen unberührt stehen bleibt? — Reiß dich jetzt zusammen! Wir sind geschiedene Leute, wenn du dir etwas anmerken läßt!“ Sie ging zum Büfett und warf den Brief so heftig in die Mittelschublade,

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