Die indische Erbschaft
Fußverletzung halten können, die sich in ein paar Tagen von selbst beheben würde. Sie erledigte die kleinen Einkäufe beim Bäcker und in der Metzgerei und trabte bald neben ihm weiter.
„Stell dir einmal vor“, sagte sie plötzlich, „wir würden wirklich eine Menge Geld erben...“
„Ein paar Millionen, wie?“
„Meinetwegen ein paar Millionen, — träumen kann man ja davon...“
„Na, und was würdest du mit dem Reichtum anfangen?“ fragte er mehr belustigt als interessiert. Manchmal spielte er den älteren Bruder, als ob er vierzig und sie zehn Jahre alt sei.
„Zunächst würde ich einmal dafür sorgen, daß ich ganz gesund würde. Für mein Bein wäre mir überhaupt nichts zu teuer. Und dann würde ich vielleicht Sprachen lernen, aber natürlich nicht hier, sondern in Frankreich, in Italien, in England...“
„Sehr hübsch — aber das ist ja nun schließlich keine Lebensaufgabe und kein Beruf.“
„Beruf!“ sagte sie fast höhnisch, „mir würde die Zeit auch ohne Beruf nicht lang werden. Oh, es gäbe ja so viel zu sehen und zu erleben. Ich würde reisen, um die ganze Welt, nach Mexiko und nach Indien, und vielleicht würde ich Bücher schreiben, ganze Romane...“
„So etwas Verrücktes...!“ sagte er kopfschüttelnd.
„Nicht verrückter als deine Schauspielerei!“
„Nun ja“, lenkte er ein, „aber Romane schreiben? Wie kommst du mit einemmal auf diese Idee?“
„Nicht mit einemmal, — weißt du, wenn man so allein ist, dann fallen einem die merkwürdigsten Geschichten ein. Man bräuchte sie nur aufzuschreiben...“ Sie brach plötzlich ab, als hätte sie von ihren geheimsten Träumen und Wünschen schon zu viel verraten.
„Was willst du nun eigentlich“, fragte er etwas gereizt, „reich sein oder Romane schreiben?“
„Beides!“ rief sie heftig. Und plötzlich sahen sie sich an und lachten.
„Na schön, ich hätte auch einen ganz stattlichen Wunschzettel. Aber jetzt muß ich mich um meine Kundenadressen kümmern.“
„Vergiß den Floh unterm Fingernagel nicht!“
Sie trennten sich, Werner ging aufs Rathaus, und Christa überquerte den Markt, um der Mutter endlich das Essen zu bringen.
Martha sah etwas zerrupft und abgekämpft aus. Sie schien einen anstrengenden Vormittag hinter sich zu haben. Der Käuferstrom begann nach der mittäglichen Ebbe wieder anzufluten. Als Christa sie entdeckte, war sie gerade dabei, einen Blusenstapel, der neu vom Lager gekommen war, in die Stellagen zu ordnen.
„Servus, Mama, ich hab die ein paar Scheiben Zungenwurst und zwei Brötchen mitgebracht, frisch und rösch.“
„Lieb von dir, mein Herz, aber schau, im Augenblick kann ich wirklich nicht weg!“
„Du mußt einfach!“ sagte die Kleine energisch.
„Hat daheim alles geklappt?“ fragte Martha.
„Ja, selbstverständlich hat alles geklappt! Als ob etwas dabei wäre, ein Stück Fisch zu braten und einen Kartoffelsalat zu machen! Aber jetzt wirst du essen!“
Der Abteilungsleiter führte zwei Kundinnen heran: „Ah, Sie bedienen gerade die junge Dame, Frau Ströndle?“ Christa sah ihre Chance: „Ja, das Fräulein bedient gerade“, sagte sie kühl und deutete auf ein blaues Sommerkleid mit weißen Tupfen, „das möchte, ich einmal probieren. Bringen Sie es mir doch in die Ankleidekabine!“
Der Abteilungsleiter führte die Damen zu der nächsten Verkäuferin, die gerade frei war.
„Du freches Biest!“ zischte Martha empört, „na warte nur, das ,Fräulein’ kreide ich dir noch an!“
„Nun komm schon, Mama“, grinste Christa und legte ihrer Mutter das blaue Kleid mit den weißen Tupfen über den Arm, „wenn man dich nicht unter Druck setzt, dann bringst du die Brötchen heute abend womöglich noch heim.“ Sie hüpfte voraus und fand eine freie Kabine, wo sie Martha auf den Hocker nötigte. „Und jetzt laß dir Zeit, es jagt dich niemand...“
Die Mutter biß hungrig in die Semmel und stopfte die Zungenwurst hinterdrein: „Gibt es sonst etwas Neues?“
„Nicht viel, höchstens, daß Papa die Papiere ins Büro mitgenommen hat.“
„Welche Papiere?“
„Die Abstammungspapiere!“ rief Christa, als fände sie es unglaublich, daß Martha das wichtigste Ereignis des Tages völlig vergessen zu haben schien; „die ganze Stadt spricht doch davon!“
„Um Gottes willen!“ sagte Martha und würgte den letzten Bissen hinunter, „das hat uns gerade noch gefehlt!“
4.
Nun, die „ganze Stadt“ sprach nicht davon, so bedeutend war weder der Aufruf noch
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