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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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seines Chefs zu verdanken, daß er im rechten Moment zu Wort kam, „darum wollte ich Sie schon seit langer Zeit ersuchen, aber es freut mich, daß Sie von selber daraufgekommen sind, wie Sie mich anzureden haben. Ich habe nichts dagegen, daß Sie Ihre Stifte und Lagerarbeiter einfach und schlicht beim Namen anreden, — aber so intim sind wir beide nicht miteinander, daß Sie sich das auch mir gegenüber erlauben dürfen. Und leider verdirbt Ihr böses Beispiel die guten Sitten. Ich mußte Fräulein Opferbaum schon mehrmals darauf aufmerksam machen, daß sie mich mit ,Herr’ Ströndle anzusprechen hat.“
    Herr Septimus Knapp pirschte sich um den Schreibtisch herum zu Herrn Vollrath hin. „Er ist verrückt geworden, kein Zweifel, er ist wahnsinnig geworden!“ zischelte er dem Chef verstört ins Ohr.
    Und Herr Schlehkamp, der Buchprüfer und Wirtschaftsberater, hielt es für ratsam, vorsorglich nach dem Briefbeschwerer zu greifen, falls eine Waffe notwendig würde, um den zweifellos irrsinnig gewordenen Ströndle mit einem wohlgezielten Schlag niederzustrecken. Wilhelm Ströndle beobachtete die Herren amüsiert.
    „Verrückt geworden?“ fragte er und legte den Kopf nachdenklich schief auf die Schulter, „im Gegenteil, meine Herren, — es fällt mir nicht ganz leicht, nicht verrückt zu werden. Das verstehen Sie vielleicht nicht. Aber ich nehme an, Sie werden es noch rechtzeitig erfahren. — Und damit, lieber Vollrath, gestatte ich mir, mich zu entfernen.“ Er hob grüßend die Hand und winkte den Herren zu: „Ihnen, lieber Knapp, empfehle ich dringend, etwas mehr Rückgrat zu zeigen...“ Er nickte auch Herrn Schlehkamp zu, verließ das Büro, schloß die Tür hinter sich sorgfältig zu und überließ die drei Männer ihrer Erstarrung.
    „Verrückt oder besoffen!“ stellte Herr Schlehkamp lapidar fest. Herr Knapp hüstelte nervös, flatterte unruhig umher und enthielt sich einer Stellungnahme. Der Chef der Firma Kaspar Schellenberg schob tief in Gedanken die Unterlippe vor und warf Herrn Schlehkamp einen langen Blick zu.
    „Weder — noch!“ sagte er schließlich bedeutungsvoll und trat an den Schreibtisch heran, um sich aus dem ziselierten Messingkasten eine Zigarre zu wählen. Herr Septimus Knapp bekam plötzlich große Augen und griff sich an die Stirn.
    „Sie meinen doch nicht etwa...“
    „Sie sind ein kluges Kind, Knapp, — Sie dürfen eins raufrücken. Jawohl, genau das meine ich!“
    „Was denn, was denn?“ fragte Herr Schlehkamp, „ich verstehe kein Wort...“
    „Erklären Sie es Herrn Schlehkamp draußen, Knapp“, sagte der Chef und ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen.
    „Und Sie, lieber Herr Schlehkamp, seien Sie mir nicht böse, wenn ich Sie bitte, diese Besprechung in den nächsten Tagen zu wiederholen, wenn die Skonten berechnet sind. Ich hatte Herrn Ströndle tatsächlich den Auftrag gegeben, die Aufstellung wegen einiger Steuertermine eine Weile zurückzustellen.“
    Herr Knapp erhob sich hastig; er sah verwirrt aus, er sah aus, als kämen ihm zum erstenmal in seinem Leben Zweifel, ob diese Welt wirklich die denkbar beste aller Welten sei. Was hatte der Chef gesagt? ,Herr Ströndle’ hatte er gesagt, und er hatte die Schlamperei von Herrn Ströndle dazu noch mit seinem eigenen Auftrag gedeckt und entschuldigt... Die Opferbaum würde glatt vom Stuhl fallen, wenn er es ihr nachher erzählte.

6.

    Martha hatte tief in den Geldbeutel gegriffen. Man konnte von dieser Erbschaft halten, was man wollte, aber schließlich kam solch ein Brief mit solch einer Nachricht ja nicht alle Tage. Es gab zum Abendbrot heiße Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat, und der Salat war tatsächlich mit Mayonnaise angemacht. Das war ein Festessen, das es sonst einmal im Jahr, und zwar zu Wilhelm Ströndles Geburtstag gab. Und dazu hatte sie drei Flaschen Bier spendiert. Aber wenn Martha erwartet hatte, daß ihre Leute in Verzückung geraten würden, so wartete sie vergebens. Sie aßen die Würstchen und sie leerten die Salatschüssel bis zum letzten Bröckchen, aber über der Tafelrunde lastete eine bedrückte Stimmung.
    „Und ihr habt doch etwas!“ murmelte Martha, „das lasse ich mir nicht nehmen!“
    „Zweihundert Millionen...“sagte Werner düster, „aber wir haben sie eben noch nicht. Da liegt der Hund begraben!“ Er wandte sich mit einem kleinen Fingerschnalzer an Charlotte, als erinnere ihn die Zahl an etwas, was ihm entfallen war: „Kannst du mir Geld pumpen, Lottchen?“
    „Wozu

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