Die indische Erbschaft
— und wie lange?“
„Kino — und bis morgen oder übermorgen, Ehrenwort.“
„Kino? Keine schlechte Idee. Wir könnten zusammen gehen...“
„Aufgefordert oder eingeladen?“ fragte er.
„Also gut, eingeladen“, sagte sie mit einem kleinen Seufzer. Er verstand es, ihr das Geld locker zu machen.
Wilhelm Ströndle hob die Tafel auf. „Es war ein fabelhaftes Essen, Martha...“ Er nickte ihr lobend zu und unterdrückte ein Aufstoßen; er hatte es ein wenig mit dem Magen, kein ernsthaftes Leiden, sondern kleine nervöse Beschwerden, die sich bei ihm nach Aufregungen mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks einstellten. Die Tüte mit doppelkohlensaurem Natron stand für ihn griffbereit im Gewürzfach. Er nahm eine Löffelspitze voll und spülte das Pulver mit einem Schluck Wasser nach. Sonst pflegte sich Wilhelm Ströndle nach dem Abendessen auf das Sofa zu legen, um den Stadtanzeiger noch einmal gründlich zu studieren. Heute nahm er den Brief aus England mit und vertiefte sich in den Text. Er verglich die deutsche Fassung mit der englischen und prüfte auch die Familienurkunden noch einmal Zeile um Zeile, als befürchtete er, ein Irrtum in der Genealogie könne den goldenen Turm zum Einsturz bringen. Aber seinem Vater war kein Irrtum bei der Ahnenforschung unterlaufen.
„Johannes Chysostomus Ströndle!“ sagte er fast ehrfurchtsvoll. „Chrysostomus... Ich weiß noch so genau, als ob es gestern gewesen wäre, daß wir über den Namen Witze gerissen haben, als wir ihn zum erstenmal hörten. Und nun stellt es sich heraus! Ein Ströndle Minister und Schatzkanzler des Nizzam von Japore... Nizzam - das ist dasselbe wie Maharadscha. Viel weniger als König ist das nicht. Mindestens soviel wie Großherzog. Ein Ströndle! Tatatatatatataa! — Und schließlich war er so etwas wie Prinzgemahl, wie der Bernhard in Amsterdam. Es ist kaum zu glauben. Und wenn ihn die indischen Banditen nicht ermordet hätten, dann wäre er selber Regent und Nizzam geworden... jawohl, unser Urgroßvater! Und vielleicht könnten wir unter Umständen sogar auf den Titel — aber nein! Das ginge denn doch zu weit, und das ist auch schon viel zu lange her... Aber wenn man sich mit Geld dahinterklemmen würde... vielleicht…“
Martha hatte seinem Monolog stumm zugehört.
„Du wirst ihm vielleicht noch ein Denkmal setzen wollen, deinem Chrysistomus oder wie der Kerl geheißen hat, wie?“ fragte sie lauernd und nicht allzu liebenswürdig.
Er beugte sich vor, als hätte er sie nicht recht verstanden: „Du hast doch nicht etwa Kerl gesagt, Martha, wie?“
„Allerdings habe ich Kerl gesagt!“ antwortete sie störrisch.
Er trommelte mit den Fingerspitzen einen Wirbel: „Das geht zu weit, Martha! Das muß ich mir verbitten! — Deine Vorfahren in allen Ehren — es waren fraglos brave Leute, aber eins wirst du mir zugeben müssen, Staatsminister und Schatzkanzler sind sie gerade nicht gewesen; und vor allem, Millionen haben sie auch nicht gerade hinterlassen! Also ein für allemal: ich möchte mir dringend ausbitten, daß du von meinem Urgroßvater mit etwas mehr Respekt sprichst!“ Er schlug mit der Faust auf sein Knie und wiederholte: „Jawohl, das bitte ich mir aus!“
Martha schnaufte kurz auf: „Respekt…“, kicherte sie und warf den Kopf nach hinten, „daß ich nicht lache! Respekt...? Darauf wirst du lange warten können. Denn wenn du es nicht weißt, dann werde ich es dir einmal klarmachen, was dein sauberer Urgroßvater war. Ein Lump war er! Ein Hallodri! Ein Abenteurer! Ein Schuft! Jawohl, ein nichtswürdiger Schuft, der seine arme Frau mit zwei Kindern sitzenließ und es in fünfzehn Jahren nicht für nötig hielt, sich zu melden oder ihr auch nur einen Pfennig zu schicken. Und nicht nur ein Lump, sondern ein Verbrecher war er, der daheim eine Frau mit zwei Kindern sitzen hatte und trotzdem ein anderes Weibsbild heiratete, ein indisches, braunes Weibsbild, wovor es mich grausen würde, wenn ich ein Mann wäre. Aber deinen sauberen Großvater grauste es nicht, im Gegenteil, ein Kind hatten sie miteinander! Und vor diesem Heiratsschwindler soll ich Respekt haben und sollen die Kinder womöglich Respekt haben? — Jetzt langt es mir aber! Und ich sage dir, keinen Pfennig rühre ich von diesem Sündengeld an! Keinen Pfennig!“
Wilhelm Ströndle sprang auf, er ballte die Finger, sein Gesicht lief rot an, und Werner hatte das Gefühl, daß es an der Zeit sei, sich vorsorglich zwischen seine Eltern zu schieben, ehe
Weitere Kostenlose Bücher