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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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sie war und mit welcher Anmut sie sich bewegte. Sie mochte dreißig Jahre alt sein.
    „Sie fliegen diese Strecke gewiß oft...“, sagte sie, als sie sich niederließ und den Rock über die Knie zog.
    „Diese Strecke weniger häufig...“antwortete er und war mit seiner Formulierung sehr zufrieden.
    „Dann ist es aber wirklich nicht recht von mir, Ihnen den Platz wegzunehmen.“
    Er hob abwehrend beide Hände: „Bitte, gnädige Frau, ich tat es wirklich gern!“
    Sie zögerte ein wenig, aber dann gestand sie ihm, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben in einem Flugzeug sitze.
    „Was Sie nicht sagen, gnädige Frau!“ rief er, als könne er es kaum glauben.
    „Ich hoffe nur, daß ich flugfest bin; mit meiner Seefestigkeit ist es nicht weit her, daß weiß ich leider aus Erfahrung.“ Es klang, als ob sie ihn auf Überraschungen vorbereiten wolle.
    „Ich will für mich auch keine hundertprozentige Garantie geben...“sagte er vorsichtshalber.
    „Oh, ich dachte, der Magen gewöhne sich daran.“
    „Leider nicht, gnädige Frau. Jedenfalls meiner nicht. Die übliche nervöse Zeiterscheinung. Manager-Magen nennen es die Ärzte. Und sie verordnen einem Angeln oder Briefmarkensammeln...“
    Er lachte grimmig durch die Nase und lehnte sich bequem zurück. Über die Krankheiten der Industriekapitäne hatte er einen interessanten Illustriertenaufsatz gelesen. Nun mochte sie raten, wen sie vor sich hatte! Aber wer sie wohl sein mochte? Sie hatte die Handschuhe noch nicht abgestreift, aber er hätte wetten mögen, daß sie unverheiratet sei. Vielleicht war sie Schauspielerin... Ihre Stimme klang angenehm, mit einem reizvollen Süddeutschen Akzent.
    Die Stewardeß kam den Kabinengang entlang und bat die Fluggäste, die Gurte anzulegen. Bald darauf flogen die Bremsklötze zur Seite, und die Maschine begann über das Rollfeld zu jagen, sie hüpfte an, hob sich, und Wilhelm Ströndle fühlte seinen Magen ganz weit hinter seinem Rücken, aber ihn beschäftigte das Rätsel, das seine Nachbarin ihm aufgab, im Augenblick mehr als sein Magen. Dann kam die Gegenkurve, es trug die Eingeweide nach rechts hinaus, und Wilhelm Ströndle wandte sich mit einem etwas mühseligen Lächeln seiner Nachbarin zu. Sie war ein wenig blaß geworden, aber sie gab seinen fragenden Blick tapfer zurück. Noch immer saß der Magen hinter der Wirbelsäule, aber mit der zunehmenden Höhe begann er sich langsam zu senken, ins Sitzpolster hinein, als gäbe es eine geheimnisvolle Kraft, die ihn als einziges Organ des Körpers der Schwerkraft unterwarf und wie mit Gummisträngen verbunden zur Erde zurückzog.
    Dann ließ der Druck im Innern allmählich nach, die Organe kehrten zu ihren rechtmäßigen Plätzen zurück, und die Stewardeß ging durch die Sitzreihen und nahm einige Tüten entgegen. Wilhelm Ströndles Nachbarin wagte es, einen Blick durchs Fenster zu werfen. Ein breites Silberband glitzerte zwischen dem satten Grün der Wiesen, der Rhein. Wilhelm Ströndle zog die flache Cognacflasche aus der Tasche, die Oskar Vollrath ihm auf die Reise mitgegeben hatte, er schraubte den Becherverschluß ab, schenkte ein und reichte den Becher seiner Nachbarin mit einer liebenswürdigen Geste hinüber.
    „Oh, vielen Dank — ich glaube, ich kann die kleine Stärkung wirklich vertragen!“ Sie trank und reichte ihm den Becher zurück. Ihre Fingerspitzen berührten sich flüchtig.
    Er schenkte sich ein und trank ihr zu: „Mein Name ist Ströndle, gnädige Frau — Wilhelm Ströndle.“ Es klang dadurch, daß er seinen Vornamen betonte, irgendwie bedeutend, als gäbe es vielleicht mehrere Ströndles auf der Welt, aber eben nur einen Wilhelm Ströndle, der etwas Besonderes vorstellte.
    Sie streifte wie zufällig ihre Handschuhe ab. An den schlanken Fingern mit den blutroten, spitz zugeschliffenen Nägeln trug sie zwei Ringe, einen Brillanten und einen großen Turmalin in einer schlichten Goldfassung.
    „Ich bin Jutta Wendland“, sagte sie und neigte ein wenig den Kopf. Also doch eine Schauspielerin oder Künstlerin!
    Keinem anderen Menschen wäre es eingefallen, zu sagen: ich bin, statt ich heiße.
    Er kramte in seinem Gedächtnis, aber es wollte ihm nicht einfallen, wo er ihrem Namen schon begegnet war. Fast hätte er sie um Entschuldigung gebeten, daß er sie nicht gleich erkannt habe, aber er unterließ es, um sich womöglich nicht zu blamieren. Die Maschine zog stetig durch die Luft. Das prachtvolle Wetter machte den Flug zu einem Vergnügen. Auch der Druck

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