Die indische Erbschaft
das Herz, als ihre Schulter ihn streifte und als er in der hellen Seidenbluse ihre Büste so deutlich abgeformt sah, daß er sogar die Spitzen ihrer Brüste wahrnehmen konnte. Er tastete etwas blind nach dem Haken, an dem er ihre Jacke aufhängen konnte, und spürte in dem Duft des Parfüms, der ihn anwehte, den Beginn eines Abenteuers, eines bezaubernden, heißen und betörenden Abenteuers, wie es ihm noch nie widerfahren war.
„Meine Vorfahren waren ehrbare Kaufleute, Baumeister und Handwerker, ohne besondere Vermögen und auch ohne hervorragende Talente. Bis auf einen, der vor rund hundert Jahren nach Indien auswanderte und dort ein Fürstentum eroberte. Das Fürstentum, etwa so groß wie Bayern und Württemberg zusammen, hieß Japore, und mein Vorfahr führte den Titel eines Nizzam, was etwa dem Rang eines Großherzogs entspricht. Er heiratete die Witwe des verstorbenen Fürsten und wurde bei einem Aufstand von seinen eingeborenen Untertanen ermordet, zusammen mit seiner Familie und mit den Europäern, die er an seinen Hof gezogen hatte. England griff ein, übernahm in Japore die Verwaltung und hatte auch die Liebenswürdigkeit, das Vermögen meines Urgroßvaters für seine Erben sicherzustellen. Es beträgt rund zweihundert Millionen — und ich bin der einzige Erbe. Ja, das ist in großen Zügen die ganze Geschichte.“
Sie saß ganz benommen da, und er legte die Hand sehr zart auf ihren Arm: „Ich habe Ihnen die Geschichte anvertraut, Fräulein Wendland — aber ich bitte Sie um unbedingte Verschwiegenheit. Ich habe die Presse in Deutschland nur mit großer Mühe davon abhalten können, meine Geschichte breitzutreten, und es wäre mir noch unangenehmer, wenn die englischen Zeitungen Wind davon bekämen. Ich hasse nichts mehr als die Öffentlichkeit, und von der Öffentlichkeit am meisten die Reporter.“
„Natürlich!“ stammelte sie, „selbstverständlich werde ich Ihren Wunsch respektieren. Von mir erfährt kein Mensch ein Wort!“
„Das ist auch der Grund, weshalb ich mich in London nach einem kleinen Hotel Umsehen werde. Ich bin zwar der Diskretion meines Freundes Sir Fullard und des Lordschatzkanzlers sicher, aber durch irgendeinen Zufall könnte die Presse doch etwas davon erfahren, und es wäre mir scheußlich unangenehm, im Claridge oder Bristol von der Meute gestellt zu werden. Eine Frage, ich bitte jedoch, sie nicht als Indiskretion aufzufassen: Wo wollen Sie in London wohnen?“
„Ich weiß es noch nicht“, antwortete sie ein wenig verwirrt, „ich wollte mich an Ort und Stelle nach einem Boardinghouse oder nach einem kleinen Hotel umsehen.“
Er winkte die Stewardeß heran und fragte sie, ob sie ihm in London in der Nähe von Whitehall ein gutes, ruhiges und nicht allzu großes Hotel empfehlen könne. Sie kannte keine Adresse, aber sie wollte sich auf dem Flugplatz sofort danach erkundigen und versprach ihm, bis zur Erledigung der Zollformalitäten ein Dutzend Anschriften bereit zu haben. Er bedankte sich mit der gelassenen Höflichkeit eines Mannes, der es gewohnt ist, die Dienste anderer für sich in Anspruch zu nehmen. Es war ein erregendes Spiel, das er da trieb. Aber war es überhaupt ein Spiel? In Wirklichkeit tat er nichts, was er in Zukunft nicht ständig tun würde: reisen, berückenden Frauen begegnen, geschäftliche Transaktionen planen, bedeutende Männer kennenlernen, Reportern aus dem Wege gehen, in Luxusappartements wohnen, verwöhnt werden, leben, leben, leben! Es war die Rolle, die ihm von Anfang an vom Schicksal bestimmt war, denn wie hätte er sie sonst so ausfüllen können? Wie hätte er sich sonst in ihr so wohl fühlen können? >
„Sie sind so nachdenklich, Herr Ströndle?“
Er schrak empor und sah sie voll an, sekundenlang begegneten sich ihre Blicke und hielten einander fest. „Sprechen Sie Englisch, Fräulein Wendland?“
„Ziemlich gut, ich hatte drei Jahre lang Gelegenheit, es zu lernen.“
„Ich habe in meinem Leben keine Zeit gehabt, fremde Sprachen bis zur Vollendung zu lernen“, sagte er mit der brutalen Offenheit des Industriekapitäns, der in seinem Leben wichtigere Dinge zu tun gehabt hatte, als auf der Schulbank zu sitzen, „würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, mir in London auf der Suche nach einem passenden Hotel behilflich zu sein?“
Sie zögerte einen Augenblick lang mit der Antwort, und während sie ihn warten ließ, wanderte ihr Blick zu seiner Hand und blieb auf seinem Trauring stehen...
„Ich lebe seit langen Jahren
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