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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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in den Ohren ließ nach. Die Stewardeß fragte nach den Wünschen der Gäste. Es gab den obligaten Kaffee oder Tee, aber auch schärfere Getränke.
    „Darf ich Ihnen noch einen Schluck Cognac anbieten?“
    „Wenn Sie so liebenswürdig sein wollen... Aber nur einen winzigen Tropfen!“
    „Nun, der Becher ist ohnehin nicht größer als ein Fingerhut.“
    Wieder berührten sich ihre Finger, und dieses Mal empfing Wilhelm Ströndle bei der Berührung einen prickeln-, den, kleinen Stromstoß, der seine Hand ein wenig zittern ließ, als er sich den Becher von neuem füllte. Und er glaubte, am Rande den Duft ihrer Lippen zu schmecken, ein feines, fruchtiges Parfüm, das seine Zunge kitzelte. Der Cognac rann ihm brennend durch die Kehle und warm in den Magen hinab. Plötzlich fühlte er sich verjüngt.
    „Sie befinden sich sicher auf einer Vergnügungsreise, gnädiges Fräulein, nicht wahr?“
    Sie spielte mit ihren Handschuhen und zögerte sekundenlang mit der Antwort: „Wie man es nimmt. Ich soll in England heiraten, aber ich weiß nicht recht, ob ich will...“
    Er sah sie so überrascht über den Brillenrand hinweg an, daß sie zu lachen begann: „Das klingt einigermaßen merkwürdig, wie?“
    „Nicht die Tatsache an sich“, sagte er, „wohl aber der Nachsatz, den Sie gebrauchten. Ich meine, wenn man schon auf dem Wege ist, müßte man sich eigentlich bereits entschieden haben.“
    „Ja, das sollte man meinen“, gab sie zu; und mit der Vertraulichkeit, die sich bei Reisen oftmals so überraschend schnell einstellt, erzählte sie ihm mehr, als sie ihm sonst wahrscheinlich selbst nach längerer Bekanntschaft anvertraut hätte. Der Name ihres Verlobten war Stanton Grey. Sie hatte ihn in Köln kennengelernt, wo er als Offizier stationiert war. Eines Tages war er mit einer Dame in ihrer Boutique erschienen, einer jungen Engländerin, die sie für seine Frau oder Geliebte gehalten hatte. „Nun, es war seine Schwester“, lächelte sie, „und die Boutique, das ist meine kleine Industrie. Managerkrankheiten bekommt man bei meinem Betrieb allerdings nicht...“
    „Oh, es ist nicht wichtig, wie dick die Butter gestrichen ist. Zwanzigtausend Angestellte oder zwei, das ist nur ein gradueller Unterschied. Wichtig ist, daß man unabhängig ist. Und im übrigen bin ich davon überzeugt, daß die Wendland-Modelle großartig sind!“
    „Im Rheinland kennt man meinen Salon“, sagte sie ohne falsche Bescheidenheit.
    „Und nun haben Sie Ihr Geschäft auf gegeben?“
    „Das ist es eben!“ antwortete sie mit einem kleinen Seufzer, „mir fällt die Entscheidung schwer. Vorläufig führt eine Freundin den Laden weiter. Und dann ist da noch etwas...“ Sie zögerte wieder, und er benutzte die kleine Pause, um ihr eine Zigarette und Feuer anzubieten. „Ich verbessere mich nicht gerade…“, sagte sie schließlich. „Stanton — ich meine, mein Verlobter, Mr. Grey — war Major in der Armee. Im Zivilleben ist er Angestellter einer Versicherungsgesellschaft.“
    „Hm!“ machte Wilhelm Ströndle und blies das Zündholz, an dem er seine Zigarette in Brand gesetzt hatte, sorgfältig aus.
    „Es ist eine gute Stellung mit einem ziemlich hohen Gehalt, aber ich habe doch das Gefühl, von der Butterseite herunterzurutschen. Und ich bin, um auch das zu sagen, nicht mehr jung genug, um nicht daran zu denken. Und schließlich — ich kenne England nicht, und ich weiß nicht, wie ich mich dort einleben werde.“
    „Eine schwierige Entscheidung“, murmelte er, „aber da Sie sich auf dem Wege nach England befinden, nehme ich an, daß der Würfel zugunsten Ihres Verlobten gefallen ist.“
    „Das weiß ich noch nicht..
    „Nun“, meinte er und griff zum drittenmal zur Flasche, „dann wird die Entscheidung in London Airport fallen, wenn Mr. Grey Ihnen den ersten Kuß gibt. Wahrscheinlich haben Sie ihn längere Zeit nicht gesehen — und Zeit und Entfernung sind bekanntlich Kühlschränke, in die man sein Herz nicht ungestraft hineinlegt.“ Wie er das wieder einmal gesagt hatte, das war schon einen Schluck wert!
    „Mr. Grey wird mich nicht küssen — denn er weiß nicht, daß ich komme.“
    „Was!“ rief er überrascht und schraubte die Flasche wieder zu.
    „Nein. Verstehen Sie nicht, daß ich mich acht Tage allein in England umsehen möchte, ohne ihn? Ich will sehen, ob die Engländer auch Menschen sind. Ein fremdes Land, in dem man nun sein ganzes Leben verbringen soll..
    „Natürlich verstehe ich Sie! Und ich finde, daß Sie

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