Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
frühes 5. Jahrtausend v. Chr. (nach Gimbutas 1991: 83)
rechts: Mykenisch-griechische Figurine, 12. Jahrhundert v. Chr. (nach Demakopoulou 1988: 96)
Die Zusammensetzung des antiken, griechischen Götterpantheons und die Namen insbesondere der weiblichen Gottheiten passen nicht zur typischen Tradition der indoeuropäischen Mythologie, wohl aber zum Göttinnenkult der vorindoeuropäischen Bevölkerung. Die Gestalten von Göttinnen wie Demeter, Cybele-Artemis, Hestia, Athene und Aphrodite sind sämtlich vorgriechisch, ebenso wie die Funktionen, die sie für die Menschen erfüllten (Haarmann 1996a). Auch die Dominanz einer weiblichen Gottheit, von Bendis, der Hauptgöttin bei den Thrakern, sowie die Vielfalt der lokalen Göttinnenkulte bei den Illyrern (Ansotica in Liburnien, Ica und Iria in Flanona, Iutossica in Alvona, Latra in Nedinum) weisen auf die Kontinuität vorindoeuropäischer Traditionen hin (Wilkes 1992: 245ff.). Hätten Indoeuropäer von Anbeginn in Anatolien und auf dem Balkan gesiedelt, würde man in der mythologischen Überlieferung der Griechen und anderer antiker Völker eher eine Dominanz männlicher Gottheiten erwarten.
Auch in den Stilformen der darstellenden Kunst sind Nachwirkungender alteuropäischen Zivilisation auf die griechische unverkennbar. Dies gilt beispielsweise für Darstellungen weiblicher Personen mit erhobenen Armen, die als segnende Göttinnen interpretiert werden könnten (Abb. 12).
Zusammen mit den Stilformen wurden auch ornamentale Motive und Symbolzeichen Alteuropas tradiert, nicht nur in der griechischen, sondern auch in der thrakischen Kunst, etwa die Spirale, der Mäander, geometrische Formen wie Kreis, Dreieck und Quadrat u.a. Für einige Kultursymbole lässt sich die Kontinuität über mehrere Entwicklungsstufen nachweisen, so für das Motiv des Hakenkreuzes (s. Abb. 1, S. 13).
Von den ersten Kontakten der Steppennomaden mit den Ackerbauern des Westens bis zur vollen Entfaltung der Fusionsprozesse, die die Indoeuropäisierung charakterisieren, vergingen mehrere Jahrtausende. In dieser Zeit vollzog sich auf Seiten der alteuropäischen (d.h. vorindoeuropäischen) Populationen ein fundamentaler Sprachwechsel – wahrscheinlich über längere Perioden mit Zweisprachigkeit – zu lokalen Varianten des Indoeuropäischen, das sich entsprechend den regionalen Kontaktbedingungen mehr und mehr ausgliederte. Diejenigen, die das Indoeuropäische weiter nach Westeuropa transferierten, waren entweder Nachfahren der Steppennomaden, die Ackerbauern geworden waren, oder die Nachkommen der Alteuropäer, die einen Sprachwechsel vollzogen hatten und Indoeuropäisch sprachen.
Sprachkontakte zwischen Ackerbauern und Wildbeutern
Die Ausweitung der Bodenflächen, die für den Pflanzenanbau genutzt wurden, hatte in prähistorischer Zeit nicht unbedingt zur Folge, dass sich die Jäger und Sammler an der Peripherie akkulturierten und assimilierten. Viele zogen sich zurück in Zonen, die klimatisch gar nicht oder nur bedingt für den Anbau von Pflanzen geeignet waren. An den Peripherien verbreiteten sich indoeuropäische Sprachformen mit den sie sprechenden Ackerbauern, d.h. mit akkulturierten Alteuropäern.
In einem solchen Kontaktmilieu entfaltete sich ein reger Austausch zwischen Sprechern nicht-indoeuropäischer und indoeuropäischer Sprachen, ohne dass sich die Wildbeuter assimilierten. Allerdings ist eine starke Einflussnahme indoeuropäischer Sprachen festzustellen. Hier dominierte wie bei den Kontakten zwischen Steppennomaden und Ackerbauern das Indoeuropäische – aber nicht aufgrund der politischen Kontrolle durch eine Elite, sondern wegen des hohen Prestiges, das die Sprache der Ackerbauern für die Wildbeuter attraktiv machte. Dies ist charakteristisch für die Kontakte ostseefinnischer Wildbeuter zu Ackerbauern im Baltikum, die ins 2. Jahrtausend v. Chr. datieren.
Indoeuropäer haben mit Uraliern (insbesondere mit Finno-Ugriern) Jahrtausende lang in Kontakt gestanden. Im Prozess der Indoeuropäisierung des östlichen Europa zogen sich die finno-ugrischen Populationen immer weiter nach Norden und Nordosten zurück. Allerdings leben bis heute noch Finno-Ugrier im Gebiet der uralischen Urheimat, so die Mordwinen in den Flusstälern der Wolga und Kama (Carpelan et al. 2001). Die neuzeitliche sprachliche Überformung ursprünglich von Uraliern besiedelter Gebiete beruht auf dem Assimilationsdruck des Russischen, und dies hängt zusammen mit der Expansion russischer
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