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Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen

Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen

Titel: Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Haarmann
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Dorfgemeinschaften – jeweils nach Sprach- und Kulturgemeinschaften getrennt – unter sich. Das Französische als Medium der herrschenden Elite wurde zum Kommunikationsmittel auch unter den Sklaven selbst, die verschiedene afrikanische Sprachen (vor allem Varianten von Bantu) und das aus Madagaskar importierte Malagasy – eine austronesischeSprache – sprachen. Das Erlernen des Französischen erfolgte unkontrolliert, d.h. außerhalb einer geregelten schulischen Erziehung und ohne Beteiligung der französischen Schriftsprache.
    Der «Wildwuchs» dieses Pidgin lässt sich beispielsweise am Kollaps des französischen Artikelsystems veranschaulichen. Im Morisien gibt es keinen bestimmten Artikel; französische Artikelformen sind allerdings als feste Bestandteile lexikalischer Elemente im kreolischen Wortschatz erhalten; z.B. kreol.
lavie
‹Leben› (< frz.
la vie
) oder kreol.
lédoi
‹Finger› (< frz.
le doigt).
Die Sprachen der Sklaven aus Afrika hinterließen ihrereits Spuren in diesem transformierten Französisch, der Wortschatz des Morisien besteht zu rund 25 % aus afrikanischen Substratwörtern (Carpooran 2005).
    Die zweite oder dritte Generation der Sklaven auf der Insel erwarb das Pidgin-Französisch als Primärsprache, das somit zur Kreolsprache wurde; die Muttersprache(n) der Eltern ging für sie verloren. Das Französische erlebte in diesem Prozess selbst einen durchgreifenden strukturellen Wandel, die neue Kreolsprache war für die Plantagenbesitzer kaum noch verständlich. Als die Briten Mauritius ihrem Kolonialreich anschlossen, hatte sich bereits ein allgemeiner Sprachwechsel vollzogen. Das Kreolische wurde als Alltagssprache der Mehrheit der Inselbevölkerung so wichtig, dass auch spätere, indische Immigranten diese Sprache erlernten.
    Eine ähnliche Drei-Phasen-Entwicklung – der Sprachwechsel der Bevölkerungsmehrheit zur elitären Minoritätssprache als Ausgangsbasis für die Konsolidierung und Verbreitung einer neuen Sprachform – lässt sich auch für die frühen Kontakte der Indoeuropäer an der Peripherie der Siedlungsgebiete der Ackerbauern nordwestlich des Schwarzen Meeres annehmen.
Die Geburt der Tochtersprachen
    Die indoeuropäischen Sprachen zeigen vielfältige Phänomene einer Fusion sprachlicher Strukturen. Offenbar können, abhängig von der Intensität wechselseitiger Kontakte, prinzipiell alle Konstituenten des Sprachbaus von Fremdeinflüssen berührt undverändert werden (Curnow 2001). Der Wandel, den das Indoeuropäische im Kontakt mit den Sprachen Eurasiens erlebte, betrifft den Wortschatz ebenso wie das Lautsystem, die Grammatik und die Syntax.
    Im Laufe der Expansion der Siedlungsgebiete der Indoeuropäer hat sich der ursprüngliche proto-indoeuropäische Komplex zunehmend aufgelöst, und es bildeten sich regionale Schwerpunkte mit kultureller und sprachlicher Sonderentwicklung heraus. Die endgültige Auflösung der proto-indoeuropäischen Grundsprache ist spätestens ca. 2500 v. Chr. erfolgt. Dafür sprechen nicht nur archäologische Funde in den Expansionsgebieten, die lokale Besonderheiten aufweisen, sondern auch Erkenntnisse der Lexikostatistik: In den Regionalsprachen lassen sich Spaltungsprozesse erkennen, nämlich ein Abdriften von Elementen des Wortschatzes (d.h. des Lautstands und der Stammformen der Grundsprache) sowie von Formantien (formbildenden Elementen der Wortbildung).
    Natürlich stellt sich die Frage, ob es nicht bereits in der Periode der Grundsprache (ca. 7000–ca. 2500 v. Chr.) Variationen gegeben hat, wie die Unterscheidung zwischen regionalen Dialekten der Nomadenclans, zwischen der Normalsprache und einer mythopoetischen Sprachform, in der erzählt wurde (Beekes 1995: 41f.). Insofern ist davon auszugehen, dass sich die für die Zeit nach 2500 v. Chr. nachweisbaren Spaltungen bereits früher angebahnt haben. Entsprechend dehnt sich die Periode des Abspaltungsprozesses vermutlich auch in die Zukunft aus, ist auch heute nicht abgeschlossen. Zumindest sind Ausgliederungen von Einzelsprachen bis in unsere Zeit zu beobachten (z.B. die Konsolidierung des Serbischen, Kroatischen und Bosnischen aus dem Serbokroatischen in den 1990er Jahren).
    Bei der Ausgliederung entstanden folgende Sprachzweige: die indoiranischen (> indischen, iranischen), anatolischen, italischen, germanischen, keltischen, slawischen, baltischen Sprachen; dazu diejenigen Sprachen, die jeweils einen eigenen Zweig repräsentieren: Griechisch, Thrakisch, Illyrisch, Venetisch,

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