Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
Siedler nach Osten während des späten Mittelalters und der Neuzeit.
Im prähistorischen Baltikum entfalteten sich die Kontakte unter ganz spezifischen Bedingungen. Um 2000 v. Chr. hatte sich der Ackerbau bis ins nördliche Polen und in angrenzende Gebiete (Südlitauen) verbreitet. Dort stießen die Ackerbauern auf finno-ugrische Bevölkerungsgruppen, deren Wirtschaftsform das Wildbeutertum war.
Vom westlichen Baltikum aus dehnte sich die Zone mit agrarischer Wirtschaftsform allmählich nach Nordosten aus – nicht weil die indoeuropäischen Ackerbauern weiterwanderten, sondern weil sich die finno-ugrischen Jäger und Sammler unter dem Einfluss aus dem Süden akkulturierten, sesshaft wurden und selbst anfingen, Getreide anzubauen. Ihre finnisch-ugrische Sprache gaben sie allerdings nicht auf. Der Motor für diesen Wechsel zur agrarischen Lebensweise waren die regen Handelsbeziehungen,die sich zwischen den Ackerbauern des Südens und den Wildbeutern des Nordens entwickelten (Zvelebil 1996). Die Leute aus dem Norden hatten Bernstein, Tierfelle und -fett und andere Waldprodukte (Beeren, Heilkräuter) anzubieten. Von den Leuten aus dem Süden tauschten sie Agrarprodukte (Milch, Käse, Brot, Fleisch aus der Viehhaltung) und Keramik ein.
Moderne anthropologische und ethnographische Forschungen über das Verhältnis zwischen Wildbeutern und Ackerbauern vermitteln die Einsicht, dass Ackerbauer mehr Sozialprestige genießen. Auf eine breite vergleichende Basis können sich solche Feststellungen mit Bezug auf Völker und Kulturen Afrikas stützen (Barham/Mitchell 2008: 402ff.). Auch im Baltikum ist mit einem Prestigegefälle zu rechnen, als dessen Konsequenz mehr und mehr Frauen der Wildbeuter im Zuge des Brautkaufs in den Süden wechselten, wo die Sesshaftigkeit soziale Stabilität und das Nahrungsangebot eine gesicherte Existenz versprach. Zwischen der eigentlichen Agrarzone und den Jagdrevieren der Leute im Norden entstanden Mischsiedlungen mit Angehörigen aus beiden Zonen (Zvelebil 1996: 338). Die Kinder aus den gemischt-ethnischen Familien mit dem Vater aus dem Süden und der Mutter aus dem Norden wuchsen in einem bikulturellen und zweisprachigen Milieu auf, wo die Sprache des Vaters, die mit höherem Prestige, die der Mutter dominant beeinflusste.
Diese langfristigen Sprachkontakte haben sich in einer tiefgreifenden Einflussnahme des Indoeuropäischen baltischer Prägung auf die lokalen Varianten des Ostseefinnischen manifestiert (Haarmann 2003b: 98ff.). Hunderte von Lehnwörtern baltischer Herkunft sind bis heute im Finnischen, Estnischen und Karelischen bewahrt. Aus den Bedingungen des ethnisch und sprachlich gemischten Milieus in der Übergangszone erklärt sich auch die Existenz zahlreicher Entlehnungen in den Bereichen des Sozialkontakts und der Intimsphäre.
Die Menschen in der Kontaktzone zwischen Wildbeutertum und Ackerbau erlebten eine Ära kultureller Konvergenz und ihre Sprachen eine Periode der Angleichung ihres grammatischen Baus. Die Angleichungstendenzen setzten um 1800 v. Chr. im westlichen Baltikum ein und überdauerten die Zeitspanne dersprachlichen Ausgliederung des ostseefinnischen Kontinuums von ca. 1500 bis ca. 1000 v. Chr. Die baltisch-ostseefinnischen Sprachkontakte wirkten über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren. Die konkreten Spuren sind in den auffallenden strukturellen Konvergenzen zu erkennen, die dem baltischen Sprachbund sein Profil gegeben haben: der hohe Grad an Synthetismus, der sich in der Erhaltung der Flexion der Substantive im indoeuropäischen Litauischen und Lettischen und im nichtindoeuropäischen, finnisch-ugrischen Estnischen manifestiert (Stolz 1991).
Baltische Lehnwörter im Finnischen
Verwandtschaftsbezeichungen und Sozialkontakte:
finn.
lapsi
‹Kind›,
tyttö
‹Mädchen›,
nainen
‹Frau›,
veli
‹Bruder›,
sisar
‹Schwester›,
tytär
‹Tochter›,
lanko
‹Bruder der Ehefrau bzw. des Ehemanns),
nuode
‹Ehemann der Schwester),
häät
‹Hochzeit),
morsian
‹Braut›,
sulhanen
‹Bräutigam›; finn.
heimo
‹Stamm; Verwandtschaft (scherzhaft), Dorfgemeinschaft (scherzhaft)),
talkoo
(häufig in Verbindung mit
työ
‹Arbeit›,
talkootyö) ‹
freiwillige Arbeit im Dienst des Gemeinwohls),
talkoot ‹
freiwillige Arbeit beim Ernteeinsatz (ältere Bedeutung)),
kiittää
‹danken; ursprüngl. ‹Danksagen (in einer religiösen Zeremonie)).
Körperteile und
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