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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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Möglichkeit zur Flucht blieb (vor Hausbesetzern oder leichenfressenden Dämonen oder allem anderen, was sich mein ängstlicher Verstand ausdachte). Ich hätte nur aus einem der Fenster springen können. In den Keller zu gehen barg jedoch das gleiche Problem. Hinzu kam, dass es dunkel war und ich keine Taschenlampe dabeihatte. Also nach oben.
    Die Stufen protestierten mit einer Sinfonie aus Knacken und Knarren gegen mein Gewicht, aber sie hielten. Und was ich oben fand, war – im Vergleich zum maroden Untergeschoss – fast unversehrt. Entlang einem Flur, in dem die Tapete von den Wänden abblätterte, befanden sich etliche Zimmer in einem erstaunlich guten Zustand. In einigen hatte sich zwar Schimmel ausgebreitet, nachdem die Fenster zerbrochen waren und es hereingeregnet hatte, andere waren jedoch voller Dinge, die nur eine Staubschicht von der Gegenwart zu trennen schien: Ein Hemd mit Stockflecken hing wie achtlos hingeworfen über einer Stuhllehne, auf dem Nachttisch lag Kleingeld. Als wäre die Zeit angehalten worden in jener Nacht, in der die Bomben fielen.
    Ich ging von einem Zimmer zum nächsten, untersuchte wie ein Archäologe die Hinterlassenschaften. Es gab Holzspielzeug, das in einer Kiste vor sich hin schimmelte, auf einer Fensterbank lagen Buntstifte, deren Farben vom Sonnenlicht Zehntausender Nachmittage ausgebleicht waren, in einem Zimmer saßen Puppen, zu lebenslänglicher Haft verurteilt. In einer bescheidenen Bibliothek hatte die kriechende Feuchtigkeit dafür gesorgt, dass sich die Bücherregale durchbogen, als würden sie schief grinsen. Ich fuhr mit dem Finger über die abgegriffenen Buchrücken, als würde ich überlegen, welches ich herausnehmen und lesen sollte. Es gab Klassiker wie
Peter Pan
und
Der geheime Garten,
Geschichten von Autoren, die die Zeit längst vergessen hatte. Daneben entdeckte ich Schulbücher auf Latein und Griechisch. In einer Ecke standen ein paar alte Tische. Das hier musste ihr Klassenzimmer gewesen sein, und Miss Peregrine war ihre Lehrerin.
    Ich versuchte, eine massive Doppeltür zu öffnen, indem ich den Knauf drehte. Aber das Holz war gequollen, und die Flügel bewegten sich nicht. Ich nahm Anlauf und stieß mit der Schulter dagegen. Mit einem knarzenden Quietschen sprangen sie auf, und ich landete bäuchlings in dem Zimmer. Nachdem ich mich aufgerappelt und umgeschaut hatte, war ich sicher, dass dieser Raum Miss Peregrine gehört haben musste. Es sah aus wie ein Zimmer aus Dornröschen: mit Spinnweben überzogene Kerzen in Wandleuchtern, ein Frisiertisch voller Kristallfläschchen und ein riesiges Eichenbett. Ich stellte mir vor, wie sie beim Heulen der Sirenen mitten in der Nacht zum letzten Mal aus den Laken gestiegen war und die Kinder um sich versammelte, alle verschlafen und nach ihren Jacken greifend, auf dem Weg nach unten.
    Hattet ihr Angst?, fragte ich mich. Habt ihr gehört, wie die Flugzeuge näher kamen?
    Plötzlich überkam mich ein sonderbares Gefühl. Ich bildete mir ein, beobachtet zu werden. Die Kinder waren noch da, konserviert wie der Junge aus dem Moor. Ich spürte, wie sie mich durch die Risse in den Wänden und die Astlöcher anstarrten.
    Langsam ging ich in den nächsten Raum. Durch ein Fenster drang schwacher Lichtschein. Abgeblätterte, taubenblaue Tapete neigte sich zu ein paar schmalen Betten hinab, die mit staubigen Laken bedeckt waren. Aus irgendeinem Grund war ich sofort sicher, dass in diesem Zimmer mein Großvater gewohnt haben musste.
    Warum hast du mich hergeschickt? Was wolltest du mir zeigen?
    Da entdeckte ich etwas unter einem der Betten und kniete mich hin, um genauer nachzusehen. Es war ein alter Koffer.
    Hat er dir gehört? Hattest du diesen Koffer im Zug bei dir, nachdem du deine Mutter und deinen Vater zum letzten Mal gesehen hattest, nachdem du Abschied nehmen musstest von deinem alten Leben?
    Ich zog den Koffer heraus und fummelte an den zerschlissenen Lederriemen herum. Er ließ sich leicht öffnen – aber abgesehen von einer toten Käferfamilie war er leer.
    Ich fühlte mich ebenfalls leer und gleichzeitig sonderbar schwer, als würde sich der Planet zu schnell drehen, sich mit Schwerkraft aufladen, die mich zu Boden zog. Erschöpft setzte ich mich auf das Bett – sein Bett möglicherweise –, und aus mir unerklärlichen Gründen streckte ich mich auf diesem schmuddeligen Laken aus und starrte an die Decke.
    Woran hast du gedacht, wenn du nachts hier gelegen hast? Hattest du auch Alpträume?
    Ich begann zu

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