Die Insel der Dämonen
um einen neuen Schuldschein zu überreichen und sich in dunklen Andeutungen gegenüber Marguerite zu ergehen. Sie kam zu dem Schluß, daß es diesem seltsamen Menschen einfach Spaß machte, andere mit seiner gespielten Unterwürfigkeit und seinen Unverschämtheiten zu provozieren.
»Ach, die arme Seele«, sagte sie zu Damienne, als Soubise wieder einmal seine Aufwartung gemacht hatte.
»Ich bin nicht sicher, ob seine Seele, der Gott gnädig sein möge, nicht längst vollständig von Neid und Mißgunst zerfreßen wurde«, konterte Damienne.
Von da an begegnete Marguerite dem Sekretär mit freundlichem Mitgefühl, was diesen sichtlich irritierte. An den harten Geldforderungen, die er im Namen des Grafen de Boutillac aussprach, änderte dies allerdings herzlich wenig. Jean-François de La Roque Sieur de Roberval stand das Wasser wieder einmal bis zum Hals.
Mitte Oktober kamen die ersten Anfragen aus Paris und Fontainebleau. König François wollte wissen, wann denn sein zukünftiger Vizekönig von Neufrankreich, Herr von Saguenay und Kanada, endlich in See zu stechen gedenke.
Marguerite sah, welche Sorgen ihr Onkel hatte. Es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Er schlief nächtelang nicht und schrieb lange, drängende Briefe an seine Verwandtschaft, aber auch diese Geldquelle schien erschöpft. Gerne hätte Marguerite ihrem Onkel irgendwie geholfen, aber sie wußte nicht, wie. Über dieses Thema konnte sie mit ihm einfach nicht reden. Der Onkel verbot schlichtweg jedes Gespräch. Es waren sehr schweigsame - und karge - Abendessen in diesen Wochen.
Dann, eines Abends, erwartete de Roberval wichtigen Besuch und er verbat sich jede Störung. So war es ganz sicher nur Zufall, daß Marguerite gerade auf dem Weg von der Küche zu ihrem Zimmer im ersten Stock die Halle durchquerte, als der geheimnisvolle Gast das Haus betrat - und es wäre sehr unhöflich gewesen, ihn nicht willkommen zu heißen. Es handelte sich um einen stattlichen Mann von Ende vierzig mit zwei beeindruckenden Narben auf der rechten Wange. Er trug die Kleidung eines Seemannes, eines Kapitäns.
»Eure Tochter, de Roberval?«, fragte er, als Marguerite ihn begrüßte.
»Meine Nichte, Marguerite de La Roque, wenn ich vorstellen darf.«
Der Fremde verneigte sich: »Pierre de Bidoux, Seigneur de Lartigue, zu Euren Diensten, Mademoiselle. Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr solche Schätze in Eurem Haus versteckt, de Roberval, hätte ich Euch früher besucht«, lachte der Fremde. Es war ein dröhnendes Lachen, und Marguerite hatte das Gefühl, das Haus würde erbeben. Der Fremde verbreitete eine Aura vollkommener Selbstsicherheit, wie sie es noch nie erlebt hatte. Es war beeindruckend und gleichzeitig furchteinflößend. Marguerite errötete und war nun doch froh, daß sie sich zurückziehen durfte.
»Wo kommst du denn her, mein Kind?«, fing Damienne sie vor ihrer Tür ab.
»Ich war in der Küche.«
»Und auf dem Weg hierher bist du rein zufällig dem Gast begegnet, den dein Onkel unbedingt alleine empfangen wollte?«
»Ja«, sagte Marguerite ganz schlicht.
»Das gibt sicher noch Arger«, seufzte Damienne. »Du bist viel zu neugierig für eine junge Dame deines Standes, das schickt sich nicht!«
»Ja, Damienne«, lächelte Marguerite, die wußte, welche Frage gleich kommen würde.
»Und?«, fragte Damienne mit Verschwörermiene. »Wer ist es?«
»Ich bin nicht sicher, ob es sich für eine junge Dame meines Standes schickt, sich an Klatsch und Tratsch zu beteiligen«, lächelte Marguerite,
»Nun komm schon«, antwortete Damienne und knuffte ihr in die Seite.
»Es ist ein Seemann, Pierre de Bidoux, Seigneur de Lar-«
»Allmächtiger Gott!«, entfuhr es Damienne. »Bidoux de Lartigue?«
»Ja, so heißt er wohl ... Was ist denn?«
»Der Herr steh uns bei - Bidoux der Blutige, Bidoux der Pirat!«
»Ein Pirat?«
»Oh, nicht irgendein Freibeuter! Er ist der Schrecken der Meere!
Ungezählte Schiffe hat er versenkt, das Blut Hunderter Seeleute klebt an seinen Händen!«
»Wie aufregend!«, rief Marguerite.
»Aufregend? Du Schaf!«, erregte sich Damienne. »Bidoux ist mit dem Teufel im Bunde! Wenn dein Onkel sich mit ihm einläßt, wird es um seine arme Seele geschehen sein. Und böse enden wird es allemal.«
»Ach, das sagst du immer. Und sicher übertreibst du wieder maßlos. Mein Onkel wird sich doch nicht mit einem Piraten einlassen!«
»Wir wollen beten, daß du recht behältst, mein Kind, wir wollen beten.«
Am nächsten Morgen
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