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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Schritte. Dann stand er vor ihr. Er war völlig durchnäßt, aber er strahlte und Marguerite strahlte zurück.
    Es wurde heller in der Kirche. Der Regen hatte aufgehört, die Wolken zerrissen und die Sonne kam hervor. Marguerite bekreuzigte und erhob sich. Vielleicht wären sie in diesem Moment doch einander um den Hals gefallen, hätte nicht Damienne es verhindert, indem sie sich halb zwischen die beiden schob. Sie warf Henri einen warnenden Blick zu. Vorne am Altar hustete der Abbe vielsagend.
    Eine Minute starrten die beiden Verliebten einander an. Henris blondes Haar klebte in wirren Strähnen am Kopf - und Marguerite fand ihn noch schöner, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Sie hatte tagelang überlegt, was sie zuerst sagen würde. Sie hatte schöne Zitate aus seinen und ihren Briefen zurechtgelegt, wieder verworfen, neue ausgewählt. Kein Satz erschien ihr gut genug für diesen so lang ersehnten, magischen Moment.
    Schließlich sagte sie schüchtern: »Ihr seid spät, Monsieur.«
    »Verzeiht, Mademoiselle, der Holzkopf wollte unbedingt noch einen ausführlichen Rapport hören, bevor er mich gehen ließ.«
    Marguerite wäre ihm zu gerne um den Hals gefallen, sagte aber nur: »Wollt Ihr gemeinsam mit mir beten, Monsieur?«
    »Mit Eurer Erlaubnis, Mademoiselle.«
    Die beiden knieten sich vor den Altar und betrachteten das Bildnis des Heiligen.
    »Nicht zu nahe!«, mahnte die Stimme Damiennes.
    Also hielten sie Abstand, aber er reichte ihr stumm seine Hand und sie ergriff sie. Sie war kalt und klamm. Wie gern hätte Marguerite sie dennoch an ihrer Wange gespürt, an ihrer Haut gewärmt.
    »Ihr seid ja völlig durchnäßt, Monsieur!«, flüsterte sie.
    »Nachdem mich der Holzkopf schon so lange von Euch ferngehalten hat, wollte ich mich nicht noch durch das bißchen Regen aufhalten lassen, Mademoiselle. Ich habe ihn auch gar nicht gespürt, denn ich habe nur an Euch gedacht.«
    »Aber daß Ihr mir nicht krank werdet!«
    »Ich bin es längst - krank vor Sehnsucht nach Euch!«
    »Und wie bekommen wir Euch wieder gesund, Monsieur?«
    »Nur ein einziger Kuß von Euch, Mademoiselle, das wäre die stärkste Medizin, die ich mir vorstellen kann.«
    Hinter ihnen räusperte sich Damienne, vorne am Altar bekam Abbé André einen Hustenanfall - und so wurde nichts aus der Verabreichung der starken Medizin. Die Sehnsucht erfuhr an jenem Morgen in der Kirche St. Vincent keine Linderung.
    Sie verließen die Kirche zur Sicherheit nicht gemeinsam. Zunächst verschwand der Leutnant, einige Minuten später folgten Marguerite und Damienne.
    Marguerite hätte den Leutnant von nun an am liebsten jeden Tag getroffen, doch Damienne hatte vorgesorgt: Auf ihre dezente Anregung hin beschäftigte Hauptmann de Pousier ihn mit wichtigen Aufträgen. So bekam er zum Beispiel den Befehl über den Trupp, der die Gefangenen aus dem Gefängnis von Nantes nach Saint-Malo geleitete. Kaum war er zurück, durfte er nach Rennes aufbrechen. Auch im dortigen Zuchthaus gab es Freiwillige, die eine gefährliche Reise ins Ungewisse dem Gefängnis vorzogen.
    Dieser zweite Befehl sorgte für Kopfschütteln in Fourraines Trupp. »Das liegt doch fast auf dem Weg von Nantes herauf. Warum haben wir das nicht in einem Aufwasch erledigt, Leutnant?«, fragte einer der Sergeanten.
    Henri hatte zuvor die gleiche Frage an den Hauptmann gerichtet und gab jetzt dessen Antwort wieder: »Der Hauptmann meint, es sei sicherer, nicht zu viele Gefangene auf einmal zu transportieren.«
    »Sicherer? Diese armen Teufel in ihren Ketten sind doch für niemanden eine Gefahr! Und ob wir nun dreißig oder sechzig von ihnen bewachen - das macht den Kohl auch nicht fett.«
    »Befehl ist Befehl«, entgegnete der Leutnant, obwohl er es genauso sah wie die Soldaten. Also war Henri wieder tagelang unterwegs - und nicht in Marguerites Nähe.
    »Ich fürchte, wir werden uns nie zu sehen bekommen, Damienne«, sagte Marguerite eines Tages beim Mittagessen. »Kannst du nicht mit Hauptmann de Pousier reden? Ihr versteht euch doch so gut!«
    Damienne verschluckte sich und mußte husten. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber du weißt, wie es bei den Soldaten ist: Ein Befehl muß befolgt werden.«
    In der Tat redete Damienne mit dem Hauptmann. Aber es ging nicht um die Aufträge, sondern um das Schiff, auf dem Henri reisen würde.
    »Ich verstehe Euch nicht, Madame. Erst sagt Ihr, es sei besser für mich, wenn der Leutnant möglichst weit weg von mir wäre, damit er meine Autorität nicht

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