Die Insel der Dämonen
ausstrahlte, die ihm als jungem Mann zu eigen war. Das war nicht immer so gewesen. Sie erinnerten sich nur zu gut der finsteren Zeiten, die erst wenige Jahre zurücklagen, als der Herr verfemt war und seine Güter kurz vor der Enteignung standen, weil de Roberval zum neuen Glauben übergetreten war, ohne Zweifel eine Todsünde, die die Mutter Kirche und auch die Krone Frankreichs hart bestrafen mußte! Dunkle Tage waren das gewesen: der Herr in der gottlosen Schweiz und sie selbst jeden Tag in Ungewißheit, was werden würde. Doch diese Zeiten waren vorüber. Der König hatte seinem Jugendfreund die Torheit verziehen und de Roberval war reumütig in den Schoß der wahren Kirche zurückgekehrt. Leicht war ihm das nicht gefallen und er war abwechselnd schwermütig und jähzornig in jenen Monaten. Doch jetzt standen große Dinge bevor. Wenn man nur Genaueres wüßte!
Marguerite, die Nichte des Schloßherrn, wußte nicht mehr als die anderen — und sie wurde fast krank vor Neugier. Sie war dankbar für jede Ablenkung, die sich ihr bot, und eine hatte sie im Stall des Schlosses gefunden.
Sie schüttelte das kalte Wasser aus ihrem Schal. In einer Mischung aus Ärger und Verzweiflung betrachtete sie, wie der Regen durch das Dach drang und über Stroh, Heu und selbst die Pferde rann. »Das ist nicht gut«, sagte sie zu Joseph, dem ältesten der Stallburschen.
Die Pferde standen in ihren kalten Boxen und ließen mißmutig die Köpfe hängen.
»Du hast recht, Marguerite«, erwiderte Joseph. Er kannte Marguerite von klein auf und erlaubte sich, wenn der Herr des Hauses nicht anwesend war, sie mit dem vertraulichen Du anzusprechen.
»Ich habe es meinem Onkel gesagt, wieder und wieder«, seufzte Marguerite, »aber er veranstaltet lieber Jagdgesellschaften, anstatt das Geld für die Dächer auszugeben.«
»Ich verstehe nicht, warum dein Onkel diesen Leuten noch immer Jagden ausrichtet. Sicher, es sind vornehme und bedeutende Herrschaften, und ich verstehe nichts von solchen Adelsgeschichten; ich weiß nur, daß es hier hereinregnet, und das ist ein Unglück! Das Heu wird naß, die Pferde werden krank. Und wenn sie erst einmal krank sind, taugen sie nicht mehr für die Jagd. Wenn das so weitergeht, gibt es nächstes Jahr eben keine Jagden! Vielleicht ist dann ein bißchen Geld übrig für die Dinge, die wir brauchen!«
Marguerite fühlte sich nun doch verpflichtet, ihren Onkel zu verteidigen: »Die Boutillacs sind wichtige Leute, Joseph, sehr wichtig. Und mein Onkel schuldet ihnen Geld.«
Joseph brummte mißmutig. »Das mag ja sein, aber es ist doch nicht nur der Reitstall! In die große Scheune regnet es auch hinein, das Heu verfault, und wo kriege ich jetzt frisches Heu her?«
»Wir müssen es wohl kaufen«, sagte Marguerite unsicher.
Joseph erlaubte sich ein bitteres Lachen: »Kaufen? Du liebe Güte, wovon denn? Hier leiht uns kein Mensch noch einen Sou. Wenn wir jedem, dem wir Geld schulden, eine Jagd ausrichten, haben wir hier bald jeden Tag eine Gesellschaft am Hals!« Er schüttelte mißmutig den Kopf.
Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen und die Sonne brach durch die grauen Wolken. Marguerite trat vor die Scheune. Es war ein kalter Tag, der Wind war schneidend, aber die Luft war frisch und rein. Sie atmete tief ein und zog sich den Schal enger um die schmalen Schultern. Auf dem Weg, der vom Dorf zum Schloß heraufführte, bemerkte sie einen Mann, der ein Pferd am Zügel hinter sich herzog. Das Tier lahmte erkennbar. Marguerite runzelte die Stirn und beobachtete den Fremden. Er war nicht sehr groß und in verwaschenes Grau gekleidet.
Er wich auf dem Weg fast ängstlich den zahlreichen Wasserpfützen aus und zog sein Pferd, das ihm nur unwillig zu folgen schien, angestrengt hinter sich her. Der kleine Mann näherte sich zielstrebig dem Schloßhof und hielt, als er Marguerite entdeckte, geradewegs auf sie zu.
»Hol den Schmied, Joseph«, sagte sie.
»Natürlich Marg... Mademoiselle«, erwiderte Joseph und war schon verschwunden.
»Guten Tag, Mademoiselle de Roberval, es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen«, grüßte der Fremde. Er versuchte, freundlich zu lächeln, aber Marguerite konnte sehen, daß ihm darin die Übung fehlte. Er hatte ein blasses, schmales Gesicht und seinen Lippen fehlte alle Farbe. Sein Mantel war durchnäßt und sein Hut hatte im Regen jede Form verloren. Marguerite hatte den Mann schon einmal gesehen, aber sie konnte sich nicht an seinen Namen erinnern.
»Verzeiht, wie dumm von
Weitere Kostenlose Bücher