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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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nachzudenken. Am Morgen stand er zu ihrer Überraschung immer noch so felsenfest wie an jenem Abend, als sie ihn gefaßt hatte.
    Gegen Mittag beschlichen sie erste Zweifel: Henri würde auf sie warten, er würde sich Sorgen machen. Aber, so sagte sie sich, das müsse er eben ertragen.
    Am späten Nachmittag wurden die Zweifel stärker: Was, wenn er aus Sorge irgend etwas Unüberlegtes tat? Vielleicht brachte er sich selbst in Gefahr! Nun, das Risiko mußte sie wohl eingehen.
    Die Angst, die sie nun aushalten mußte, betrachtete sie als gerechte Strafe für ihre zahlreichen Sünden.
    Andererseits, so überlegte sie beim Abendessen, es wäre höchst ungerecht, wenn Henri ihretwegen in Gefahr geriet. Es waren ihre eigenen Sünden, die sie büßen wollte. Henri hatte damit nichts zu tun. Natürlich hatte er doch damit zu tun, aber trotzdem war es ihre Entscheidung. Er sollte darunter nicht leiden. Wenn man ihm wenigstens Bescheid sagen könnte ...
    Beim Nachtisch faßte sie den Plan, Damienne mit einer Botschaft zu Henri zu schicken. Das war das Sicherste. Aber konnte sie ihre Freundin noch einmal in die Sache hineinziehen? Damienne hatte ausdrücklich erklärt, daß sie mit der Angelegenheit nichts mehr zu tun haben wollte. Es war nicht recht, diese Entscheidung nicht zu respektieren.
    Nein, sie hatte sich die Suppe eingebrockt, sie mußte sie auch auslöffeln. Es gab offensichtlich keinen anderen Weg, als Henri selbst zu erklären, daß sie sich nicht mehr mit ihm treffen konnte.
    Als sie nach dem Abendessen in ihre Kajüte ging, stand der Plan fest: Sie würde gehen und Henri erklären, daß all dies aufhören müsse. Sie würden nur reden. Keine Umarmungen, keine Küsse - nichts außer einem klärenden Gespräch. Nur reden.
    Dann war es kurz nach Mitternacht und Henri hielt im Frachtraum ihre Hand. Ihr wurde warm. Sie küßte ihn - ein letztes Mal. Und noch ein letztes Mal - und dann noch so oft, daß sie alles um sich herum vergaß.
    »Aber es ist wirklich das letzte Mal«, sagte sich Marguerite, als sie eng umschlungen zwischen Mehlsäcken und Saatgut lagen und einander liebten.
    Als sie sich eine halbe Stunde später mit unzähligen Küssen voneinander verabschiedeten, verabredeten sie das nächste Treffen für die übernächste Nacht.
    Am nächsten Tag wurde das erste Zeichen nahen Landes gesichtet. Der Ausguck entdeckte einen einzelnen großen Vogel, der die Schiffe umkreiste.
    Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Schnell versammelte sich eine Menge Neugieriger an Deck.
    »Was ist das für ein Vogel? Er ist weiß, doch scheint er mir zu groß für eine Möwe«, meinte Marguerite, als sie auf dem Achterdeck bei Kapitän de Xaintonge stand.
    »Es ist ein Albatros, Mademoiselle«, antwortete der Kapitän. »Manche nennen ihn auch Sturmvogel.«
    »Oder Unglücksvogel«, sagte der Steuermann, der das Ruder mit einem einfachen, langen Hebel, dem Kolderstock, führte: »Wo der Albatros auftaucht, ist das Unglück nie weit. Viele brave Schiffe sind schon gesunken, nachdem sie einen Albatros gesichtet hatten. Wir sollten ihn abschießen, wenn er näher kommt.«
    »Aber es ist doch nur ein Vogel, Monsieur«, sagte Marguerite.
    »Es ist ein Todesbote, Mademoiselle, so wahr mir Gott helfe. Es heißt, er müsse nie landen, würde in der Luft geboren, sein Leben lang fliegen und in der Luft sterben. Viele dachten schon, sie wären der Landung nah, wenn sie weit draußen auf dem Meer diesen Vogel sahen, nur um kurz darauf in den fürchterlichsten Stürmen unterzugehen.«
    »So ein Unsinn! Du solltest Mademoiselle de La Roque nicht mit deinen Schauermärchen erschrecken«, sagte der Kapitän.
    »Wenn es aber doch wahr ist«, murmelte der Steuermann und faßte den Kolderstock fester. Mochte der Vogel nur Sturm bringen - er würde vorbereitet sein.
    Der Albatros war jedoch kein unheilvolles Omen, sondern ein Zeichen, daß sie ihrem Ziel näher kamen, denn er hatte seinen Nistplatz irgendwo auf der großen Insel, die die Anne ansteuerte.
    Gegen Abend zeigten sich weitere Vögel am Himmel, vor allem Möwen. Jetzt wurde es zur Gewißheit: Das Land konnte nicht mehr weit sein. Es war der 7. Juni 1542. Noch in der Nacht ließ de Xaintonge die Segel reffen und nur noch kleine Fahrt machen. Im Bug ließ er zwei Matrosen ständig die Tiefe ausloten. So nah an Land konnte es verborgene Riffe geben und es war Vorsicht geboten.
    Am nächsten Morgen sahen sie Möwen in großer Zahl und gegen acht Uhr einen großen, noch grünen

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