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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Seidenband zwischen die Fingerspitzen und zog daran, ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter. Der Schlüssel steckte irgendwo in den Tiefen von Damiennes Nachtgewand. Sie zog und tastete sich am Band entlang, bis sie ihn fühlte. Er ragte jetzt schon eine Winzigkeit aus dem Kragen des Nachthemdes.
    Immer noch schlug ihr Herz wie wild. Sie tastete weiter, bis sie auch die Schleife fand, mit der Damienne das Band um den Nacken gebunden hatte. Marguerite hielt den Atem an und versuchte, im Dunkel die richtigen Enden der Schleife zu finden. Wenn sie die falschen erwischte, würde es einen Knoten geben, und dann wäre es vorbei. Sie lauschte auf das leise Geräusch, das die Seide machte, als sie vorsichtig daran zog - die Schleife öffnete sich. Jetzt galt es! Sie nahm den Schlüsselkopf zwischen die Fingerspitzen und zog ihn langsam, ganz langsam hervor.
    Schließlich lag er in ihrer zitternden Hand. Sie hatte ihn! Am liebsten hätte sie laut gejubelt, aber das war erst der erste Schritt.
    Sie schlich zur Tür und steckte den Schlüssel ins Schloß. Vorsichtig drehte sie ihn. Das Schloß öffnete sich mit einem leisen Knacken - Marguerite kam es lauter vor als ein Pistolenschuß. Damienne schnaufte in ihrem Bett, aber sie wachte nicht auf. Langsam öffnete Marguerite die Tür. Es knarrte leise, aber auf einem Schiff knarrte immer irgendwo ein Tau oder ein Stück Holz. Hoffentlich weckte es die Schläferin nicht. Sie schlüpfte hinaus, schloß die Tür so leise wie möglich hinter sich und schlich zum Niedergang.
    »Endlich«, sagte Henri.
    Er zog sie in den Laderaum, nahm sie in den Arm und küßte sie. Wie sehr sie seine Nähe und wie sehr sie seine Küsse vermißt hatte!
    »Hast du den Schlüssel?«, fragte er.
    »Ja, Liebster.«
    »Gib her!«
    Wie kurz angebunden er war!
    »Was hast du vor, Liebster?«
    »Ich mache einen Nachschlüssel. Doch leise, leise.«
    Er zog sie in einen Winkel des Laderaums und drückte ihr etwas in die Hand. Es war ein großes Stück Sackleinen.
    »Was ist das?«, fragte Marguerite.
    »Wir müssen Licht machen. Du mußt es verdecken, damit es nicht durch die Ladeluke dringt.«
    Henri entzündete eine Kerze. Dann nahm er den Schlüssel, erwärmte ihn über der Flamme und drückte ihn schnell in ein Stück Bienenwachs. Darauf preßte er ein zweites Stück. Erst jetzt erkannte Marguerite, daß es die Hälften einer entzweigeschnittenen Kerze waren.
    »Woher weißt du, wie man so etwas macht?«
    »Von einem der Sträflinge, einem Dieb. Zum Glück gießen wir Arkebusiere unsere Kugeln selbst, deshalb weiß ich, wie man den Schmelztiegel bedient.«
    Henri nahm eine kleine Pfanne, hielt sie wiederum über die Flamme und erhitzte darin ein Stück Blei. Staunend sah Marguerite zu, wie das Metall flüssig wurde. Henri nahm den Schlüssel aus der Wachsform und gab ihn ihr zurück.
    »Ich kann nur hoffen, daß es funktioniert. Unsere üblichen Gußformen sind fester«, sagte Henri. Dann setzte er vorsichtig die Pfanne an und goss das Blei in die Form. Das Wachs wurde flüssig und schmolz - aber es hatte gerade lange genug gehalten, um dem Schlüssel Form zu geben. Er war unsauber und hatte Grate, aber sein Bart glich dem Original, jedenfalls beinahe.
    Henri löschte das Licht.
    »Ich werde ihn am Tage noch etwas abfeilen, dann lege ich ihn dir unter die unterste Stufe des Laderaums, verstanden?«
    »Ja«, hauchte Marguerite.
    »Du mußt gehen, bevor Damienne merkt, daß der Schlüssel fehlt.«
    »Ja, ich muß zurück.«
    »Einen Kuß noch!«
    »Einen.«
    Sie küßten einander und es wurde weit mehr als nur ein Kuß.
    Zwanzig Minuten später schlich Marguerite zurück in die Kabine. Die Minuten mit Henri waren so voll Gefahren - und so schön! Sie fühlte sich sehr lebendig. Sie verschloß die Tür leise wieder und machte sich an den letzten und vielleicht riskantesten Abschnitt ihrer nächtlichen Arbeit: Sie mußte den Schlüssel zurückbringen. Sie trat an Damiennes Bett und tastete im Dunkeln vorsichtig entlang ihres Nackens. Sie mußte das Band zu fassen bekommen. Sie suchte - doch das Band war verschwunden!
    Ihr Herz schlug so heftig, daß sie glaubte, Damienne müsse davon aufwachen. Aber die schlief ruhig und mit gleichmäßigen Atemzügen.
    Marguerite überlegte. Sie konnte den Schlüssel einfach neben das Kopfkissen auf das Bett legen, aber das würde Damiennes Mißtrauen erwecken. Dann hatte sie eine Idee. Behutsam tastete sie nach dem Kragen des Nachthemdes und hob ihn ein winziges Stück an.

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