Die Insel der Krieger
gewöhnt. Dennoch tanzten schwarze Punkte vor seinen Augen, als sie die Baumgrenze erreichten. Die höchsten Gipfel waren nur von Sträuchern und Gras bewachsen. Der Untergrund war felsig und hier und da lag Schnee. Die Felder und Dörfer waren so weit weg, dass sie schon unter einem blauen Schleier verschwanden. Naligs Atem bildete kleine Wölkchen und plötzlich biss ihm der Rauch in die Augen. Er hustete. Sie waren fast über das G e birge hinweg und der Qualm umgab sie von allen Seiten. Etwas legte sich in einer feinen Schicht über Merlins Gefieder und färbte es grau. Nalig strich darüber und zerrieb die Substanz zwischen den Fingern. Es war Asche. Sie legte sich auf Naligs Kleidung, sein Gesicht und sein Haar. Jenseits des Gebirges war die Luft so schwarz und undurc h dringlich, dass Merlin erst tiefer gehen musste, ehe Nalig etwas sah. Dann entwich dem Jungen vor Entsetzen ein Stöhnen. Die Asche und der Rauch entstammten einem Berg, der nicht zu dem Gebirge gehö r te, das sie gerade überflogen hatten. Auf dieser Seite schloss sich den Bergen unmittelbar ein riesiger See an. Das gegenüberliegende Ufer konnte Nalig nicht erkennen. Was er sah, war eine große Insel, auf der sich der Vulkan befand, der die Asche in den Himmel spuckte. Doch das war es nicht, was Nalig verzagen ließ. Über der Insel flogen hu n derte riesige, drachenartige Wesen mit ledrigen Flügeln, langen Schwänzen und viel zu kurzen Vorderbeinen. Damit war das Versteck der Ferlah und ihrer blutrünstigen Gefährten gefunden. Nalig brauchte Merlin nicht erst zu sagen, was er zu tun hatte. Der Falke stieg höher in die ascheverhangene Luft, die ihn verbarg. Sollten die Ferlah sie hier entdecken, so war dies ihr sicherer Tod. Vom Rückflug über das G e birge erschöpft, saß Nalig auf einem der Felder außerhalb der Dörfer und aß den Rest des Brotes, das Lina ihm eingepackt hatte. Da hatte der König seinen Beweis. Die Ferlah nisteten praktisch vor seiner Haustür und er hatte keine Ahnung davon. Wütend über so viel Star r sinn, riss Nalig Brotstücke ab und stopfte sie sich in den Mund. Doch was nutzte es? Selbst wenn er den König überreden könnte, auf Merlin mit ihm über die Berge zu fliegen, so würde er nichts sehen als einen Berg, der Dreck in die Luft blies. »Beweise«, murrte Nalig leise. Ein halbes Kalb und ein paar fehlende Schafe würden den König nicht überzeugen. Es gab keine Beweise für die Gefahr, die Eda drohte. Plötzlich hielt Nalig beim Kauen inne. Natürlich gab es Beweise. Wie hatte er so dumm sein können? Er hätte schon viel früher darauf kommen müssen. Den letzten Bissen Brot hinunterwürgend, sprang Nalig auf. Die Dämmerung brach schon herein. Bis zum nächsten Morgen würde er wieder hier sein. Merlin flog die halbe Nacht hi n durch, den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dann rasteten sie ein paar Stunden, in denen sie auf einer Wiese unter freiem Himmel schliefen. Noch vor den ersten Sonnenstrahlen machten sie sich wi e der auf. Bald hatten sie die Stelle erreicht, an der Juray seinen letzten, aussichtslosen Kampf gekämpft hatte. Sie landeten nicht einmal. Me r lin packte den Kopf des enthaupteten Ungetüms und schon waren sie auf dem Rückweg zum Schloss. Sie flogen so schnell, wie Merlins Kräfte es noch zuließen, und waren tatsächlich vor dem Mittag wieder beim Schloss. Nalig entdeckte den König im Schlossgarten. Er erkan n te den lavendelfarbenen Umhang. »Umso besser«, dachte der Junge. Merlin flog tiefer und ließ zehn Fuß über der Erde den abgetrennten Kopf vor die Füße des Königs fallen, der gerade einen Spaziergang an diesem sonnigen Wintertag unternahm. Erschrocken sprang er in die Luft, als der Kopf aus dem Nichts vor ihm auf den Weg fiel. Nalig stieg von Merlins Rücken und trat neben ihn. Der Falke verwandelte sich zurück und flog in einen Baum, wo er mitten am Tag den Kopf unter den Flügel steckte. »Was zur Hölle ist das? « , rief der König mit schriller Stimme und ohne sein überhebliches Gehabe. »Euer Beweis. « Ein Grinsen stahl sich auf Naligs Gesicht. Zum Glück war ihm schließlich eingefallen, wie Ilia ihm berichtet hatte, dass die Dörfler die Wesen erst sahen, wenn sie tot waren. Sonst hätten die Bewohner Serefils den Körper des Untiers, das auf dem Marktplatz gelandet war, nicht fortschaffen können. Der König rang um Fassung. »Ich… Ich verstehe nicht«, stammelte er. »Das hier«, erklärte Nalig und klopfte auf die Stirn des Ungeheuers, »ist die
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