Die Insel der Krieger
war. Und wofür das alles? Was hatte es letz t lich genutzt? Nalig musste einen kleinen Umweg machen, um an eine Stelle zu gelangen, die nicht ganz so steil war und an der er den A b stieg wagen konnte. Nun kam der Junge in einen Teil des Waldes, den er noch nie durchquert hatte. Das Vorankommen wurde zunehmend mühsamer und Nalig musste sorgsam darauf achten, dass er nicht von seinem Kurs abkam, während er immer wieder weite Bogen schlagen musste, um unwegsame Stellen zu umgehen. Da Nalig erst um die Mittagszeit aufgebrochen war, kam er nicht allzu weit, ehe die Dä m merung einsetzte. »Solange wir noch sehen, wohin wir treten, sollten wir weitergehen«, beschloss Nalig. »Ich habe Ilia versprochen, schnellstmöglich zurück zu sein. « Merlin war es gleich. Er flog auf Naligs Schulter und begann dort zu dösen, während der Junge die schweißtreibende Wanderung fortsetzte. Dann wurde der Falke plöt z lich unruhig. Auch Nalig spürte, dass es mit einem Mal viel kälter war, was nicht an der hereinbrechenden Nacht lag. Es dauerte nicht lange, bis Nalig der Ursache gewahr wurde. Das Grauen hatte einen riesigen schwarzen Fleck in den Wald gebrannt. Von den gewaltigen Bäumen war nichts geblieben als ein Haufen schwarzen Staubes. Dadurch war eine Art Lichtung entstanden. Tote Tiere lagen am Boden. Merlin ließ ein unbehagliches Rufen hören. Nalig sah sich um. Was nur hatte das Grauen ausgerechnet an diesen Ort geführt? Was war hier geschehen, das es so lange hatte verweilen lassen? Nalig entdeckte eine kleine Steintafel in der Mitte des schwarzen Kreises. Es war kein natürlicher Stein. Jemand musste ihn hier aufgestellt haben. Der Junge betrachtete die Tafel näher. Etwas war hineingemeißelt. Moos hatte sich in den Buchstaben gesammelt und Nalig musste es wegkratzen, ehe er lesen konnte, was dort stand: Unter einem unheilvollen Stern geboren und viel zu früh aus unserer Mitte genommen übergeben wir dich der Insel, auf dass deine erboste Seele Frieden finde. Wer diese Worte verfasst hatte, war Nalig klar. Selbst in Stein gehauen erkannte er Mariks Schrift. Doch wer lag hier begraben? Zur Zeit Mariks hatten nur Götter auf der Insel gelebt. Und bislang hatte Nalig geglaubt, dass außer Marik selbst damals nur Xatrak gestorben war. »Seltsam«, murmelte der Junge. Da wandte Merlin alarmiert den Kopf und Nalig hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Er erhob sich und blickte umher. Vor ihm, auf der anderen Seite der unnatürlichen Lichtung, stand völlig reglos ein Reh. Zw i schen den Bäumen war es kaum zu sehen. Und aus irgendeinem Grund wusste Nalig sofort, dass dies kein echtes Tier war. Und ta t sächlich verlor es ganz unvermittelt seine Form und verwandelte sich in einen gesichtslosen Arkas. Etwas zog sich in Nalig zusammen. »Wag es ja nicht«, drohte er dem Grauen. »Du hast kein Recht, dich über ihn lustig zu machen. « Obgleich nicht einmal Nalig selbst wusste, was er dem Grauen entgegensetzen sollte, wenn es auf ihn losstürmte, ve r warf es Arkas’ Gestalt und war verschwunden. Der Junge brauchte nicht erst die Berührung von Merlins angstgetrübtem Geist, um sicher zu sein, dass das Grauen nicht weit weg war. Wenigstens konnte es nicht beim Tempel sein, wo Ilia wartete, solange es ihm folgte. Die Dunkelheit nahm zu. Doch Nalig wollte erst ein gutes Stück zwischen sich und diese Stätte der Zerstörung bringen, ehe er sich niederlegte. Auch auf die Gefahr hin, dass er etwas vom Weg abkam. Dann en d lich verlor sich die Gegenwart der unheilvollen Macht des Grauens und Nalig spürte, wie müde er war. »Was meinst du, sind wir weit genug weg? « , fragte er Merlin. Der Falke sandte ihm eine schläfrige Welle der Bestätigung. Der Junge legte sein Gepäck ins Gras. Er zog seine Decke hervor, vergewisserte sich, dass er sich nicht gerade in einen Ameisenhügel legte, und streckte sich dann auf dem Boden aus. Merlin wählte sich seinen Schlafplatz in einem Baum ganz in der Nähe. Nalig schlief schlecht in dieser Nacht. Doch Grund dafür war nicht die Tatsache, dass er inmitten eines Waldes auf Blättern und Ästen lag, sondern die Träume, die ihn quälten. Er träumte, er liefe durch den Tempel auf der Suche nach Stella. Die Gänge waren merkwürdig lang und schmal, hatten keine Fenster und aus weiter Ferne glaubte Nalig, Ilia weinen zu hören. Orientierungslos lief Nalig durch das Labyrinth aus Gängen und sah plötzlich den Spiegel, der den Durchgang zum Spiegelsaal verdeckte. Dahinter,
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