Die Insel der Krieger
habe nie gesehen, dass wilde Tiere so zahm sind. Nicht einmal auf… nun ja, ich meine, nicht einmal da, wo ich he r komme«, erklärte Zalari und hätte sich ohrfeigen können. Er hatte Dela doch gar nicht von Kijerta erzählt. »Gibt es denn viele tierfreun d liche Menschen, dort, wo du herkommst? « , wollte das Mädchen wi s sen. »Ja, so könnte man es sagen. Jedenfalls besteht dort eine besond e re Verbindung zwischen allen Lebewesen. « »Du meinst so wie zw i schen dir und Kir? « Natürlich war Dela nicht entgangen, dass der Drache, der sie letzte Nacht aus der Erde gezogen hatte, nun in einer Suppentasse Platz fand. »Das zwischen Kir und mir ist wieder etwas anderes. Aber wie kommt es, dass die Tiere hier keine Angst vor dir haben? « »Ich denke, sie wissen, dass sie nichts von mir zu befürchten haben. Tiere haben ein sehr feines Gespür, das viele Menschen leider verloren haben. Die meisten Menschen ziehen zu viele voreilige Schlüsse anhand von Äußerlichkeiten. « »Ist das der Grund, weshalb du lieber alleine lebst? « , erkundigte sich Zalari. »Der Grund, weshalb ich hier alleine lebe, ist der, dass ich es nicht anders kenne und ich habe nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. « »Aber hast du denn nie das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, der dir auch antwortet? « Dela schwieg einen Augenblick. »Es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten würde, dass es nicht so ist. Aber wann bekommt man schon einmal eine ehrliche Antwort von einem anderen Menschen, eine, hinter der nicht die Absicht steckt, sich einen Vorteil zu erschleichen? « »Nicht alle Menschen sind so schlecht, wie du denkst«, widersprach Zalari und musste angesichts dieser resoluten Ansichten lächeln. »Das weiß ich«, erwiderte Dela. »Spätestens, seit ich dich kenne. Aber die wenigsten Menschen, denen ich bislang begegnet bin, haben auch nur ein Wort mit mir geredet. Sie sehen, dass ich anders bin als sie und das genügt ihnen, um ein Urteil über mich zu fällen. Ich will nicht, dass alle in mir nur das sonderbare blinde Mädchen sehen. Tiere würden niemals auf die Idee kommen, nach diesen Maßstäben zu messen. Deshalb bin ich eine Außenseiterin. « »Sind wir das nicht alle irgendwie? « , fragte sich Zalari laut. »Und was ist mit dir? « , wollte Dela wissen. »Wenn der Ort, von dem du kommst, ein so besonderer ist, weshalb bist du dann von dort weg? « Zalari seufzte. »Das ist schwierig zu erklären. « »Du hast eine wichtige Aufgabe und weißt nicht, ob sie dir gelingt«, erkannte Dela. Der Junge musterte sie eingehend. »Woher willst du das wissen? « Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich habe mir das Gespür der Tiere bewahrt und ich bin in der glücklichen Lage, dass mich eine aufgesetzte heitere Miene nicht täuschen kann. Du glaubst gar nicht, wie viel mir deine Stimme oder deine Art zu gehen, über dich verraten. Du trägst eine schwere Last, die du dir selbst aufgebürdet hast und du tust etwas aus tiefer Verzweiflung heraus, weil du denkst, du hättest keine andere Wahl. « Zalari fragte sich, ob er wirklich so durchschaubar war. »Und die Tatsache, dass du nun schweigst, sagt mir, dass ich Recht habe«, stellte Dela fest. »Denkst du, ich mache einen Fehler? « , wollte Zalari wissen. »Ich weiß ja nicht einmal, was du vor hast«, erw i derte Dela. »Aber ich denke, du hast einen guten Grund für das, was du tust. « Noch vor wenigen Stunden war Zalari fest zu allem en t schlossen gewesen. Nun, da er hier bei Dela saß, hatte er große Lust, einfach hierzubleiben und die Ferlah Ferlah sein zu lassen. Natürlich wusste er, dass das nicht infrage kam, doch es verunsicherte ihn, dass er überhaupt darüber nachdachte. Und dann erkannte er, wo das e i gentliche Problem lag: Er hatte Angst. Denn letztlich glaubte er selbst nicht daran, dass er die Ferlah töten und nach Kijerta zurückkehren würde. In seiner Vorstellung endete seine Reise, wenn er die Insel hinter den Bergen erreichte. Dela griff nach seiner Hand. »Du schaffst das schon«, meinte sie zuversichtlich. »Wie kannst du das wissen? Du kennst mein Vorhaben doch gar nicht. « »Aber ich glaube fest daran, dass du und Kir alles schaffen könnt, solange ihr zusammen seid. « Das Mädchen nahm die Echse und reichte sie Zalari.
Der Junge flog noch einmal in die Stadt, um einige Dinge für Dela zu besorgen, die sie brauchen würde, bis sie wieder gesund war. Sie lebte hauptsächlich von Pflanzen und Früchten, die sie selbst im Wald sammelte und
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