Die Insel der Krieger
von Verletzungen. Aber sie können durchaus getötet we r den. Und gerade weil Götter selten sterben, dachte Kayas Onkel wohl, dass sein Sohn den Tod seiner Frau verschuldet. Er hat ihn im Wald nicht weit von hier getötet. Er liegt auch dort begraben. Lange dachten die Götter, es wäre seine erboste Seele, die verantwortlich für das Werk des Grauens ist. « Es taten sich immer mehr Parallelen zwischen den Geschehnissen von damals und der heutigen Zeit auf. Nalig glau b te nicht an so etwas wie Schicksal. Doch langsam begann er zu zwe i feln, ob all dem nicht eine tiefere Wahrheit zu Grunde lag. »Woher wisst Ihr so viel über die Geschichte der Götter? « , wunderte er sich. »Als ich den Tempel verlassen habe, um hier im Wald zu leben, habe ich auch einige andere ungeliebte Dinge mitgenommen. « Sie deutete auf einen kleinen Stapel Bücher, der in einer Ecke lag. Sie hatten alle dieselbe Farbe und Größe. Nalig vermutete, dass es weitere Tageb ü cher Mariks waren. »Wisst Ihr auch, wie Marik es fertigbrachte, das Grauen zu vertreiben? « , fragte er hoffnungsvoll. Kugara verzog das Gesicht. Durch all ihre Entstellungen war es schwer ihre Mine zu deuten. »Nein, das weiß ich nicht. Und selbst wenn... Mariks Weg muss nicht zwangsläufig auch heute zum Ziel führen. « Nalig seufzte. »Scheinbar war Marik nicht sehr erfolgreich mit seinem Versuch, das Grauen zu töten. Es ist zurück und es wird stärker. « Kugara kramte eine Schüssel hervor und schöpfte Suppe hinein. »Ich glaube nicht, dass man das Grauen überhaupt töten kann. Es ist kein Lebewesen. Es ist einfach böse und wo immer es etwas Gutes in der Welt gibt, wird es immer auch etwas Böses geben. Genau, wie das Licht zwangsläufig auch Schatten wirft. Um alle Schatten aus der Welt zu schaffen, müs s test du alle Lichter löschen. Und das kann wohl kaum dein Ziel sein. Marik hat es geschafft, das Grauen für 800 Jahre zu bannen. Damit hat er vermutlich vielen Generationen von Menschen das Leben gerettet. « Sie reichte ihm die Schale und gab ihm einen Löffel. »Jetzt iss, du hast noch einen weiten Weg vor dir und du solltest versuchen, das Orakel zu erreichen, ehe es dunkel wird. « Nalig nahm einen Löffel voll Suppe und war überrascht, wie gut sie schmeckte. Merlin bekam unter Protest der Eule eine tote Maus. Die alte Frau hatte dem Jungen eine Menge Dinge erzählt, die ihn zum Grübeln brachten. Sonst hatte er immer tiefe Ehrfurcht empfunden, wenn er an die Götter von damals dachte. Nun bemerkte er, wie er immer mehr die Achtung vor ihnen verlor. Nachdenklich löffelte er seine Suppe. Kugara kramte in ihrer winzigen Hütte nach etwas und sprach dabei kein Wort. Als Nalig seine Schü s sel geleert hatte, dankte er ihr und erhob sich. »Nimm das hier mit«, forderte Kugara ihn auf und reichte ihm etwas, das aussah wie ein faustgroßer Klumpen aus Glas. »Das ist ein Lichtstein«, erklärte die Alte. »Die Götter haben sie gefertigt und ihre Tempel damit erhellt. Legt man ihn gelegentlich ins Mondlicht, dann leuchtet er bei Nacht. « Nalig strich über die glatte Oberfläche des Steins, der angesichts seiner Größe erstaunlich leicht war. »Wer des Nachts in Kijertas Wäldern umherläuft, sollte unbedingt einen bei sich haben. Und ich habe ohn e hin keine Verwendung dafür. Eulen brauchen keine Lichtsteine, um bei Nacht zu sehen. « Nalig bedankte sich und steckte den Stein in die Tasche. Es war noch immer früh am Tag, als er aus der Hütte trat. Der Junge setzte seinen Weg eilig fort. Er war guter Dinge, denn das U n terholz wurde lichter und es waren keine Spuren des Grauens zu s e hen. Auch die Kälte, die seine Nähe verriet, war verflogen. Einerseits war Nalig froh darüber, andererseits beunruhigte es ihn. Er glaubte nicht, dass das Grauen lange ruhte, und fragte sich, was es wohl stat t dessen im Schilde führte. Am späten Nachmittag ließ sich Nalig ve r schwitzt und mit schmerzenden Gliedern auf einer dicken Baumwurzel nieder. Er aß ein Stück Brot, das Lina ihm eingepackt hatte, und ve r fluchte die dünne Luft Kijertas. Auf dem Festland wäre er niemals so schnell außer Atem gewesen. Merlin flog hinauf über die Baumkronen, um zu sehen, ob ihr Kurs noch stimmte. Sie waren nicht vom Weg abgekommen, doch dem nördlichen Haupthaus des Tempels noch immer deutlich näher als dem südlichen. Widerwillig erhob sich Nalig also nach seiner kurzen Rast. Er konnte nicht glauben, dass Kaya diesen Weg jedes Mal auf sich nahm, wenn sie einen
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