Die Insel der Krieger
warten. Ein letztes Mal ging der Junge zum Spiegelsaal, um einen Blick auf die Insel der Ferlah zu werfen. Er hatte in den vergangenen Tagen immer wieder versucht, ein Zeichen für den Verbleib seines Freundes zu erhalten. Doch die Flugechsen hatten unverändert Kreise über ihrer Insel gezogen, die in eine dichte Aschewolke gehüllt war. Heute war das Bild, das sich ihm im Spiege l saal bot, ein anderes. Keine einzige Kreatur war am Himmel zu sehen und die gesamte Insel war bedeckt von rot glühendem flüssigem G e stein, das sich langsam an den Ufern in den See ergoss. Nalig erschrak bei diesem Anblick. Es war genau so gekommen, wie Zalari gesagt hatte. Der Vulkan war ausgebrochen und machte die Insel für die Ferlah unbewohnbar. Ihre einzige Rettung war nun Kijerta. Sicher waren sie schon auf dem Weg. Nalig suchte mithilfe der Spiegel den Himmel über ganz Eda ab in der festen Überzeugung, eine Hunder t schaft an Flugechsen zu entdecken, die auf dem Weg war. Während er sich noch fragte, weshalb Eldo sie nicht alarmiert hatte, erkannte er, dass nicht eine einzige der schwarzen Echsen über dem Land zu sehen war. Wo mochten sie stecken? Nalig betrachtete erneut ihre Insel. Sie konnten nicht mehr dort sein. Der Vulkan hatte zweifelsohne inzw i schen alles Leben ausgelöscht. Dem Jungen war beinahe so, als liege über der Insel ein feiner blauer Schleier. Doch er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass er sich täuschte und womöglich waren auch die Ausdünstungen des Vulkans dafür verantwortlich. Jedenfalls würde er das Rätsel in diesem Augenblick nicht lösen können und verließ daher den Raum. Es war höchste Zeit, dass er aufbrach. Insgeheim war das Warten auf Zalari, wenn auch nur zum Teil, eine Ausflucht gewesen, um sich noch nicht dem Kampf stellen zu müssen, von dem er so gar nicht wusste, wie er ihn gewinnen sollte. Der Junge ging hinauf in sein Zimmer, um seine Rüstung, seine Waffe und Merlin zu holen. Er war tief in Gedanken bei den Ferlah und Zalari und dem, was seinem Freund womöglich zugestoßen war, sodass ihm die ungewöhnliche Kälte gar nicht auffiel, die sich in seinem Zimmer ausgebreitet hatte. Er legte seine Rüstung an, rief Merlin von der Vorhangstange und nahm den Goldzedernstab zur Hand. Erst als er hinausgehen wollte, stutzte er und blieb an Arkas’ Bett stehen. Seit dem Tod seines Freu n des hatte der Junge keine seiner Sachen angerührt. Die zerknitterten Laken, die zerwühlte Decke und das aufgeschlagene Buch auf dem Kissen lagen noch genau so da, wie Arkas sie verlassen hatte. Der Anblick hatte sich beinahe schon in Naligs Gedächtnis eingebrannt. Nur deshalb fiel ihm auf, dass heute etwas an dem Bild nicht stimmte. Obwohl Nalig den Titel des Buches, das Arkas zuletzt gelesen hatte, nicht kannte, war er sich doch sicher, dass er auf dem Einband gesta n den hatte. Dieser jedoch war glatt und schwarz – ohne einen einzigen Buchstaben. Zögernd nahm Nalig das Buch zur Hand. Er sah nichts als blankes Papier, als er die aufgeschlagene Seite begutachtete. Ein seltsam flaues Gefühl breitete sich in Naligs Magen aus. Mit zitternden Fingern durchblätterte der Junge das Buch. Doch er fand nichts als leere Seiten. Kein einziges Wort stand darin. Voll Unbehagen legte er es zurück auf das Kissen. Das musste es gewesen sein, was Marik gemeint hatte. Seltsames geschah auf der Insel. Dinge verschwanden. Erst Stella, nun die Zeilen aus Arkas’ Buch. Das Grauen erlangte b e reits die Macht zurück, die es vor 800 Jahren besessen hatte. Es war an der Zeit, ihm Einhalt zu gebieten. Als Nalig bei der Tür angelangt war, warf er einen letzten Blick zurück auf das Buch, beinahe so, als könne es ihm verraten, auf welche Weise es seine Worte eingebüßt hatte. Kaum einen Augenblick, nachdem er sich abgewandt und den Raum verlassen hatte, verschwand auch der Rest des leeren Buches im Nichts. Nalig war schwer ums Herz, als er die Treppen hinabstieg. Nicht nur aufgrund seiner Angst vor dem Grauen. Denn ehe er au f brach, stand ihm der schwerste Teil seines Kampfes bevor. Er musste Ilia sagen, was er vorhatte. Bisher hatte er ihr verschwiegen , dass er gehen würde, um das Grauen zu bekämpfen. Er wollte sie nicht aufr e gen und fürchtete sich vor den Tränen, die sie zu Recht vergießen würde. »Du musst schon wieder gehen? Du bist doch gerade erst z u rück«, beklagte sich das Mädchen, als Nalig in die Kammer kam und seinen Aufbruch ankündigte. »Ich habe schon länger gewartet, als ich
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