Die Insel der Krieger
kauerte reglos zwischen den Wurzeln des Baumes. Als der Junge näher trat, plusterte er sich auf und öffnete drohend den Schnabel. Der rec h te Flügel stand in seltsamem Winkel vom Körper des Tieres ab und Blut tränkte das Gefieder. Der Vogel hieb mit dem Schnabel, als Nalig nach ihm griff. Der Junge zog die Hand zurück. »Ich will dir nur he l fen. « Jegliche Versuche, das verletzte und verängstigte Tier zu berü h ren, scheiterten. »Wir müssen zurück zum Boot«, versuchte Nalig seinem Begleiter klarzumachen. Er legte sich flach auf den Boden, sodass der Vogel direkt auf seine Schulter steigen konnte, was er da n kenswerterweise auch tat. Langsam machte Nalig sich auf zum See und versuchte, die Füße möglichst sachte aufzusetzen, um seinem Falken unnötige Erschütterungen zu ersparen. Es kostete ihn einige Mühe, das Boot zurück ins Wasser zu schieben. Der Kiel hatte sich tief in den Schlamm am Ufer gegraben. Während er zur Insel zurückruderte, wurde es stetig dunkler. Auf Kijerta musste noch immer tiefe Nacht herrschen. Sein Falke saß mit eingezogenem Kopf und zusammeng e kniffenen Augen auf dem Bootsrand. Nalig spürte Angst in sich au f steigen. Was, wenn sein Begleiter sich nicht von dieser Verletzung erholte, die er letztlich nur erlitten hatte, weil Nalig gegen den Rat seiner Freunde die Insel verlassen hatte? Zudem hatte Arkas Recht behalten. Zwar wusste Nalig jetzt, dass in Eda etwas nicht stimmte, doch es gab rein gar nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Der Rückweg kam Nalig viel weiter vor als der Weg zum Festland. Er ruderte mit aller Kraft, bis seine Schultern schmerzten. Deutlich kon n te er all die Prellungen spüren, die er Stellas Unterricht verdankte. Nach einer Ewigkeit, so schien es ihm, kam die Insel in Sicht. Als er die behelfsmäßigen Ruder an Land warf und aus dem Boot sprang, wurde ihm das volle Ausmaß seines Dilemmas bewusst. Sein Falke konnte unmöglich zum Tempel fliegen. Wie sollte Zalari also erfahren, dass er zurück war, um ihn abzuholen? Nalig sah ein, dass er keine andere Wahl hatte, als zum Tempel zu laufen. Die ungefähre Richtung kannte er. Hier zu warten, bis ihn jemand fand, erschien ihm hof f nungslos und sein Falke brauchte dringend Hilfe. Fluchend schlug er sich zwischen den Bäumen hindurch. Den Wald bei Nacht zu durc h queren, erwies sich jedoch bald als völlig aussichtslos. Er war so dicht, dass nicht einmal ein Hauch des Mondlichts bis zur Erde drang. Ebe n so gut hätte der Junge sich mit geschlossenen Augen auf den Weg machen können. Mit ausgestreckten Armen tastete er nach Bau m stämmen und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Auf diese Weise würde er niemals vor dem nächsten Morgen beim Tempel a n kommen. Unglücklicherweise hatte er sich schon so weit in den Wald vorgetastet, als er zu dieser Erkenntnis gelangte, dass es ihm nicht mehr möglich war, den Rückweg zu finden. Zu allem Überfluss dra n gen aus der Dunkelheit um ihn her auch noch Geräusche, die nichts Gutes verhießen. Ausgerechnet jetzt fiel ihm ein, wie Kaya ihn vor dem Wald gewarnt hatte. Ein Geräusch, das nach zerbrechenden Zweigen klang, kam näher. Nalig starrte in die Nacht und hoffte i n ständig, dass, was auch immer da kam, ihn ebenfalls nicht sehen kon n te. Sein Herzschlag musste ihn jedoch verraten, so laut erschien er ihm. Mit angehaltenem Atem lauschte er. Das Geräusch brechender Zweige erstarb. Setzte sein Urheber im Verborgenen gerade zum Sprung an? Plötzlich drang Licht zwischen den Bäumen hindurch und im schwachen Schimmer erkannte Nalig »Kartax! « Er lachte erleichtert auf und spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel. Er hatte sich selten so darüber gefreut, jemanden zu sehen. Lange hielt die Freude jedoch nicht vor. Aus den Schatten trat Kaya. Sie trug eine Fackel – die Quelle des Lichts – und ihr Blick ließ ihn zusammenschrumpfen. Wie sollte er ihr erklären, weshalb er mitten in der Nacht hier war? »Ich wollte... Ich habe nur… « »Spar dir deine Ausreden und sag ei n fach, dass du die Insel verlassen und damit die wichtigste Regel Kijertas mit Füßen getreten hast. « Nalig fragte sich, wie sie von seinem Verschwinden erfahren und ihn gefunden hatte. Einen verwirrten Augenblick lang überlegte er, ob Arkas ihn womöglich verraten hatte. »Woher…? « »Halte mich nicht für einfältig, Nalig«, warnte ihn die Göttin. »Ich weiß sehr genau, was auf dieser Insel vor sich geht. « Nalig hielt den Blick gesenkt. »Was um
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