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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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für eigene Anmerkungen finde.
    In weiser Voraussicht hatten Sie Ihr Anliegen schon im Vorfeld als unmöglich bezeichnet, und genauso schätze auch ich es ein. Eine Dame soll Sie auf Ihre Expeditionen in den Urwald begleiten, zu den Wilden, und all diese haarsträubenden Abenteuer zeichnerisch dokumentieren? Was sollen die Leute denken?
    Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen auf einen solch unzumutbaren Vorschlag nur eine Antwort geben kann:
     
    Ich bin dabei.
     
    Auf eine gute Zusammenarbeit,
    Leah Namenlos

16
    Dezember 1861 , fünf Monate später
    J ohanna hielt es im Haus nicht mehr aus. Sie streifte bequeme Schuhe über, brachte Hermann zu Mercy und marschierte in Richtung Rochor davon, einer hübschen Wohngegend der wohlhabenden Europäer und Asiaten. Ein Droschkenkutscher rief sie an, doch sie winkte ab. Ihr stand der Sinn nach einem Spaziergang, und zwar allein. Allein mit ihren Befürchtungen und Enttäuschungen. Schon seit Monaten dominierten Berichte über den Amerikanischen Sezessionskrieg die Zeitungen, und sie verging vor Sorge um ihre Schwester. Zwar hieß es, Kalifornien sei nicht involviert, doch wer konnte sagen, ob sich Leah überhaupt dort aufhielt? Vielleicht war sie längst weitergezogen, nach Osten und mitten hinein in den Irrsinn des Bruderkrieges?
    Seit Leahs chinesischer Freund ihr vor bald anderthalb Jahren Leahs Brief gezeigt hatte, ließ Johanna nichts unversucht, ihren Aufenthaltsort herauszufinden, doch keiner der Amerika-Kapitäne, mit denen Friedrich sie auf ihr Drängen hin bekannt machte, kehrte mit guten Nachrichten aus der Neuen Welt zurück. Schon seit geraumer Zeit rang Johanna daher mit sich, die Suche einzustellen. Das Warten auf Nachrichten und die daraus resultierenden Streitereien mit Friedrich zermürbten sie. Sie musste loslassen, wollte sie ihr eigenes Leben je wieder in den Griff bekommen.
    Ziellos wanderte sie durch die Straßen. Bald hatte sie das ordentliche Viertel hinter sich gelassen und fand sich in einer Straße voller Tavernen und Spelunken wieder, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatte. Vor einem Etablissement namens
Jolly Chow
stand eine Gruppe lärmender australischer Matrosen. Grellgeschminkte Mischlingsmädchen, aber auch käufliche Europäerinnen scharten sich um die zu dieser frühen Stunde bereits angetrunkenen Männer. Pfiffe und anzügliche Bemerkungen begleiteten Johanna, als sie die Gruppe passierte. Sie beschleunigte ihre Schritte. Der Hohn der Matrosen und leichten Mädchen machte ihr Angst. Sie wollte das unheimliche Viertel so schnell wie möglich hinter sich lassen.
    Stolz hob sie das Kinn als Zeichen, dass sie sich nicht einschüchtern ließ, doch der Gang durch die üble Gegend entwickelte sich zum Spießrutenlauf. Erleichtert sah sie einen Palanquin am anderen Ende der Straße einbiegen. Er hielt vor einem der schmierigen Etablissements, ein europäischer Mann entstieg der Kutsche und wurde von den vor dem Haus wartenden Mädchen mit freudigen Rufen empfangen. Johanna, die in einen undamenhaften Laufschritt verfallen war, damit niemand ihr die Kutsche streitig machte, hielt wie vom Donner gerührt inne. Sie war zu weit entfernt, um das Gesicht des Mannes erkennen zu können, und auch die Kleidung ließ keinen Schluss zu, trug er doch einen weißen Anzug wie die meisten Männer in Singapur. Trotzdem kam ihr der Mann bekannt vor. Die schlenkernde Bewegung seiner langen Arme, der lässige, leicht wippende Schritt mit den nach außen gedrehten Füßen, die etwas zu aufrechte Haltung, all dies erinnerte sie schmerzhaft an Friedrich. Ein Zittern durchlief sie, ihre Augen verschleierten sich mit Tränen. Ihr wurde schwindelig.
    Jemand sprach sie an. Vor Johanna stand eine Eurasierin in einem tiefdekolletierten Kleid und redete auf sie ein. Es dauerte einen Moment, bis die Worte der Frau zu ihr durchdrangen. Ob es ihr gutginge? Ob sie sich zutraue, allein in der Kutsche nach Hause zu fahren, oder Begleitung wünsche? Johanna schüttelte den Kopf. Langsam nahm die Umgebung wieder Gestalt an, und sie erinnerte sich, wo sie war. Mit einem Mal kam sie sich albern vor. Natürlich war es nicht Friedrich. Es musste einer der Handelsassistenten gewesen sein, ein junger Mann ohne Aussicht auf eine baldige Heirat, der sich dort in dem Haus mit käuflichen Frauen vergnügte.
    Die Eurasierin hatte den Palanquin gerufen und half ihr unter den neugierigen Blicken der Umstehenden hinein.
    »Soll ich wirklich nicht mitfahren?«
    Johanna

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